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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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dem Rücken gegen das Fenster, die Arme ineinandergeschränkt, gleich einem Mann, der seine Arbeit für getan hält. In der Ecke am Eingange stand, noch immer unvollendet, die dräuende Walküre, neben dem Bacchuszuge blies der Faun noch seine Flöte; die Morgensonne leuchtete hell herein, aber Spuren eines neuen Werkes waren nicht zu sehen.
    »Willst du noch weiter hören, Franz?« fragte der Maler. »Es gibt des Unsinns noch einen ganzen Haufen mehr.«
    Der andere bewegte leicht den Kopf.
    »Nun also, zunächst! – Warum ist dein bekränzter Stromgott, gleich der Psyche, so entzückend jung? Die Wirkung durch den Gegensatz wäre ja doch unendlich packender und das Gefühl des dezenten lieben Publikums zugleich so schön gesichert gewesen, wenn du statt dieser gefährlichen Jugend einen alten Stromian genommen hättest, so einen mit ellenlangem Schilfbart, in dem ein Dutzend Krebse und Garnelen auf und ab geklettert wären! – Du siehst nun, Franz, du bist ein höchst kurzsichtiger und einfältiger Patron gewesen!«
    Der Bildhauer antwortete auch jetzt nicht; aber er war leise in sich zusammengezuckt. An einen alten Stromgott hatte er weder bei der Entstehung noch bei der dann rasch erfolgten Ausführung seines Werkes gedacht; die jugendliche Gestalt desselben war ihm der gegebene Stoff gewesen.
    »Und nun«, fuhr der Maler fort, »nun kommt der letzte Trumpf; der junge Stromgott sollst du selber sein! – – Nein, nicht du selber gerade; aber die Ähnlichkeit will man unverkennbar finden!«
    »Was sagst du? Die Ähnlichkeit mit mir?« Die stumme Gestalt am Fenster war plötzlich lebendig geworden. Unruhig begann er in seiner Werkstatt auf und ab zu gehen; er bestritt es heftig, ja er suchte es Zug für Zug zu widerlegen.
    Der Maler sah ihn fragend an. »Du scheinst dir das sehr zu Herzen zu nehmen.«
    Der andere verstummte wieder.
    Als gleich darauf das Dienstmädchen mit einer Bestellung hereinkam, fragte er sie hastig: »Sind keine Briefe für mich da?«
    Aber der Postbote war noch nicht vorbeigekommen.
    Der Maler, da nicht wie sonst ein Gespräch zwischen ihnen in Fluß kommen wollte, hatte sich bald entfernt. Der Zurückbleibende war ans Fenster getreten und blickte durch die Lücken der Bäume in das Feld hinaus. Es stand jetzt kein Wintermorgenrot am Horizont; der Himmel war eintönig weiß von der Mittagssonne des Nachsommers.
    In seinen Gedanken wiederholte sich ein Gespräch, das er in den letzten Tagen mit seiner Mutter gehabt hatte. »Du solltest ein wenig reisen, Franz«, hatte sie gesagt; »du bist ermüdet von der angestrengten Arbeit.« – – »Ja, ja, Mutter«, hatte er erwidert, »es mag sein.« – – »Und daß du nach deiner Art mir jetzt nicht gleich was Neues anfängst!« – – »Meinst du! Aber mir ist im Gegenteil, es wäre das vielleicht das beste.« – – Fast ein wenig unwillig war die Mutter geworden. »Was redst du denn, Franz! Du widersprichst dir selbst.« – – »Sorge nicht, Mutter! ich kann nichts Neues machen.« – Es war ein so seltsamer Ton gewesen, womit er das gesprochen; die kleine Frau hatte sich an seinen Arm gehangen: »Aber, mein Sohn, du suchst mir etwas zu verbergen!« – – Und liebevoll sich zu ihr niederbeugend, hatte er erwidert: »Für wen, als für dich, Mutter, habe ich zuerst das Tuch von meiner Psyche aufgehoben? Laß es auch hier noch eine kurze Zeit bedeckt, so lang nur, bis ich weiß, ob es Gestalt gewinnen kann. Wenn nicht – –« Er hatte den Satz nicht ausgesprochen; aber die beiden Arme der Mutter hatten den großen Mann umfangen. »Vergiß es nicht, daß du noch immer unter meinem Herzen liegst!« – Ein paar Tränen hatte sie sich abgetrocknet; dann aber hatten ihre Augen ganz mutig zu ihm aufgeblickt. »Aber du mußt dennoch reisen, Franz! Dein Freund da unten an der Nordsee, der paßt für dich und hat ein heiteres Gemüt; er hat dich ja schon wieder dringend eingeladen.«
    Unbewußt hatte die Mutter ein erschütterndes Wort gesprochen; der Sohn hatte ihr nicht geantwortet, er hatte es vor plötzlichem gewaltigen Herzklopfen nicht gekonnt; aber noch am selben Abend war ein Brief nach der Küstenstadt der Nordsee abgegangen.
    Die Antwort darauf konnte er heute schon erwarten. Und jetzt wurde wieder die Tür geöffnet. Da war der Brief. – »Von Ernst!« Aus beklommener Brust hatte er es herausgestoßen; die Hülle flog zu Boden, und seine Augen verschlangen die vertraute Schrift des Freundes.
    »Ich wußte wohl« – so schrieb der

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