Werke
junge Aktenmann – »ich wußte wohl, daß Du mir kommen würdest. – Seitdem Dein Marmorbild die Stille Deiner Werkstatt verlassen hat und aller Welt zur Schau steht, ist es nicht mehr
sie
; es ist, wie anderes, nur noch eine Schöpfung Deiner Kunst. Nun streckst Du nach der Lebendigen Deine Arme aus; der Verlauf ist so natürlich, daß jeder Arzt ihn Dir vorausgesagt hätte.
Ob Du unerkannt ihr würdest nahen können, ob die Gewalt der Wellen – oder welche andre? – ihr damals tief genug die hellen Augen geschlossen hat – wer möchte das entscheiden! Glaub es immerhin! Ich rufe Dir Deinen eignen Wahlspruch zu: Sei nur fromm und ehre die Götter.
Dein Zimmer und Freundeshände sind für Dich bereit. Aber, Franz – und jetzt höre mich ruhig an! –, Du weißt es wohl noch, denn Du hast ja auch Deinen Ovid gelesen – irgendwo in der Welt, an der dreifachen Scheide von Erde, Luft und Wasser, steht auf einsamen Gipfel das eherne Haus der Fama; unzählbare Eingänge hat es, die tags und nächtens offenstehen; keine Ruh ist drinnen, in keinem Winkel ein Schweigen; wie ein Schwarm unsichtbarer Schlänglein läuft an den Decken der Säle das Gemurmel; ewig dröhnt es vom Geräusch aus- und einziehender Stimmen; kein noch so leises Flüstern, kein Seufzer einer Menschenbrust, und wenn aus tausend Meilen weiter Ferne, dessen letzter Hall hier nicht aufgefangen würde, den hier die tönenden Wände nicht hin und wider werfen und verdoppelt und verzehnfacht an das gierige Ohr der Welt hinaussenden.
Von dort muß es gekommen sein; denn die alte Bade-Kathi sieht mir nicht aus wie eine Schwätzerin. Aber sie wissen es, wissen es wirklich; sie reden davon, alle und überall; nur Deinen Namen – vielleicht hat das Wellenrauschen ihn derzeit übertönt – scheint das eherne Haus nicht mit hinabgesandt zu haben. Ich habe meine gerechte Schadenfreude, wie sie mit den Nasen in der Luft forschen, wie vor Gier ihre Ohren in den Urzustand zurückkehren und wieder beweglich werden und dennoch nichts erhaschen.
Aber hundert täppische und tückische Hände griffen nach Deinem schönen Schmetterling, um ihm den Schmelz von seinen Flügeln abzustreifen.
Da hat er sich denn einfach aufgeschwungen und ist davongeflogen; wohin, das hat auch mir die Fama bis jetzt noch nicht verraten wollen.«
– – Schon längere Zeit hatte die Mutter vor dem Lesenden gestanden und ihm in das erregte Angesicht geblickt. Jetzt wandte er ihr langsam seine Augen zu.
»Ich werde meine Psyche von der Ausstellung zurückziehen«, sagte er düster, »und dann, Mutter, reise ich; aber nicht nach der nordischen Küstenstadt.«
Der andre Tag war angebrochen.
Soviel stand fest, er wollte fort; er hatte das Bedürfnis, ganz mit sich allein zu sein; kein Sohn einer Mutter, kein Freund eines Freundes. Er dachte an den Spreewald mit seinem Netz von hundert stillen Wasserarmen, in dessen Schatten er sich einmal mit seinem Freunde, dem Maler, einen schönen Sommermonat lang verloren hatte. Auf einsamem Nachen unter überhängenden Erlen hinzufahren, zwischen flüsterndem Schilfrohr oder durch die breiten schwimmenden Blätter der Wasserlilie – wie erquickende Kühle wehte es ihn an. Er ging rascher unter den bestaubten Linden der Hauptstadt dahin; er konnte morgen, ja schon heute abreisen. Nur noch einmal wollte er seine Psyche sehen und dann einem diensteifrigen Freunde alles übrige wegen Zurücknahme des Werkes übertragen.
Die Sonne stand noch schräg am Himmel. Die Säle des Akademiegebäudes waren zwar schon offen, aber die herkömmliche Stunde des Besuches war noch nicht gekommen. Nur in dem oberen Stockwerke, in welchem die Gemäldeausstellung ihren Platz hatte, standen einzelne Fremde hie und da vor einem Bilde; in den unteren Räumen, wo sich die Werke der Bildhauerkunst befanden, schien noch alles leer. Da sie gegen Westen lagen, auch ein paar Kastanienbäume unweit der Fenster ihre laubreichen Zweige ausbreiteten, so entbehrten sie noch des helleren Lichtes; es war noch etwas von der unberührten Morgenfrühe in diesen hohen Sälen, und die Marmorbilder standen da in einsamer Schönheit und wie in feierlichem Schweigen.
Und doch, auch hier mußte schon ein Besucher sich eingefunden haben; denn ein leiser, tastender Schritt war eben in dem letzten der drei Säle verschollen, als der junge Bildhauer die Tür des Eingangssaales hinter sich geschlossen hatte. Auch er trat, wenngleich sicher wie im eigenen Hause, so doch fast behutsam auf,
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