Werke
Die arme alte Frau – das wird ihr wohltun, wenn diese Frühlingsluft das Haus durchweht!«
Sie nickte mir zu und ging die Straße hinab.
Ich sah ihr lange nach und dachte: ›Komm du nur selbst hinein! Dir wird auf die Länge auch jenes arme alte Herz nicht widerstehen; du selber bist der rechte Frühlings schein!‹
›Das Testament! Die Alte sagt, es habe Eile!‹ Mit diesem Gedanken war ich am anderen Morgen schon früh an meinem Schreibtisch, um einen möglichst vollständigen Entwurf desselben auszuarbeiten.
Während ich damit beschäftigt war, brachte meine Frau mir den Kaffee, den ich mir heute nicht Zeit ließ im Familienzimmer einzunehmen.
»Du«, sagte sie, »es soll die Nacht wieder recht unruhig gewesen sein im Hause links.«
»Schön!« erwiderte ich. »Nächstens soll es darin auch bei Tage unruhig werden!«
»Nein, ohne Scherz! Die Mägde – ihre Kammer liegt ja nach jener Seite hin –, sie haben es klirren hören, als wenn ein schwerer Geldsack auf den Boden fiele.«
»Torheit!« sagte ich und schrieb, ohne aufzusehen, weiter; »die Alte hat gar keinen Geldsack mehr im Hause, nur einen Haufen goldener Spielmarken.«
Da klopfte es.
Auf mein »Herein« reckte sich ein alter Weiberkopf ins Zimmer. »Keine Menschenmöglichkeit, bei der Madame Jansen reinzukommen!« sagte die Brotfrau, die jetzt völlig zu uns eintrat. »Schon Glock sechsen hab ich mit dem Klopfer aufgeschlagen, daß die Nachbarsleute vor die Türen kamen; es muß absolut was passiert sein, Herr Stadtsekretär!«
Das machte mich doch von meinem Tische aufspringen; denn das Klopfen hatte ich freilich auch gehört.
Als wir auf die Straße kamen, war schon ein benachbarter Schlosser mit seinem Werkzeug angelangt. Ich hieß ihn die Haustür öffnen und, als das geschehen war, die innen vorgelegte Kette durchfeilen. Dann traten wir in das untere Zimmer.
Es sah noch wüster als gewöhnlich aus. Schränke und Kommoden waren von den Wänden abgerückt, das Bettzeug bis auf die unterste Strohmatratze ausgepackt; sogar der große Spiegel, wie beim Auflüpfen verschoben, hing fast quer vor den beiden Fenstern; es mußte hier allerdings recht unruhig zugegangen sein.
Aber noch mehr des nächtlichen Spukes bestätigte sich: der Fußboden war mit blanken Speziestalern wie besäet; in der Mitte desselben lag der alte Soldatenmantel; ein offener, aber noch halb gefüllter Geldsack ragte daraus hervor, augenscheinlich das Füllhorn, dem diese blinkenden Schätze entrollt waren.
Eine Weile standen wir, ohne eine Hand zu rühren; dann bückte sich der Schlosser und hob den Mantel auf. Ein kleiner zusammengekrümmter Leichnam lag darunter, die Leiche meiner Nachbarin Madame Sievert Jansen. – Das schöne übermütige Kind, das einst das Knabenherz des Großvaters mit so unvergänglicher Leidenschaft erfüllt hatte, das lebensprühende Frauenbild, dessen Scheingestalt noch jetzt von der Wand des öden Saales herabblickte – was hier zu meinen Füßen lag, es war der Rest davon.
Was soll ich weiter erzählen! Eine förmliche Haussuchung, die nach dem Begräbnis der alten Dame abgehalten wurde, ergab, daß überall, im Keller wie auf den Böden, hinter Dachsparren und Paneelen, noch mancher Jahrgang ihrer Zinsenernten versteckt lag; nur der rotseidene Beutel mit den fremden Goldmünzen ist niemals aufgefunden worden.
Das neue Testament war nicht zustande gekommen; und so ist das bedeutende, wenn auch nicht fürstliche Vermögen, wie vorher bestimmt war, mit drei Vierteln an das Land- und Seespital gefallen. – Ob die blaunasigen alten Burschen jetzt alten Jamaikarum in ihren Flötenvögeln haben, bin ich nicht in die Lage gekommen, zu untersuchen; nur weiß ich, daß sie jetzt in doppelten Reihen auf den Bänken sitzen und ihren Vogel nach wie vor recht fleißig aus der Tasche holen.
Und Mechtild? – Sie hat dennoch ihren Leutnant geehelicht, der jetzt sogar ein Oberstleutnant ist. Da sie bald nach ihrer Verheiratung unsere Stadt verließ, so vermag ich Näheres über sie nicht zu berichten; hoffen wir indes, daß sie auch in ihrem späteren Alter ein wenig höher geblieben ist als das um sie herum. Mitunter ist ja doch dergleichen vorgekommen.
In dem alten Hause spukt es selbstverständlich, zumal wenn sich die Todesnacht der armen Greisin jährt; dann hört man sie auf Trepp’ und Gängen stöhnen, als jammere sie über die vergrabenen Schätze ihrer Jugend.
Und daß es noch dergleichen in der Welt gibt« – so schloß
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