Werke
blitzten ein Paar Augen von unersättlicher Lebenslust.
Fast wie ein Schrecken hatte es mich befallen, als ich dieses Bild erblickte; denn ich kannte es seit lange ganz genau. Es konnte kein Zweifel sein, dies war das Original jenes kleinen Porträts aus der Stube meines Großvaters; es war Zug für Zug dasselbe, nur mit allen Vorzügen eines lebensgroßen und in unmittelbarer Gegenwart gemalten Bildes. Ein bestrickender Sinnenzauber ging von dem jugendlichen Antlitz aus, das hier in wahrhaft funkelnder Schönheit auf mich herabsah. Tausend Gedanken kreuzten sich in meinem Hirn, ich hatte fast vergessen, wo ich mich befand.
Da rührte der Krückstock der Alten an meinen Arm; sie mußte leise herangeschlichen sein und stand jetzt schmunzelnd neben mir. »Es soll den höchsten Grad der Ähnlichkeit besessen haben«, sagte sie pathetisch, mit ihrer Krücke nach dem schönen Weiberkopfe deutend, »nur wurde derzeit die Meinung ausgesprochen, daß die Frische meiner Farben und der Glanz meiner Augen doch nicht ganz erreicht seien.«
»Es ist Ihr Porträt?« fragte ich.
– »Wessen sollte es denn sonst sein? – Der berühmte Hamburger Gröger hat mich derzeit als Braut gemalt; mein Gemahl zahlte ihm später sechshundert Dukaten für die beiden Bilder.«
Es war freilich eine müßige Frage, die ich getan hatte; aber ich war im Innersten verwirrt; seltsame Gedanken umschwirrten mich: als hätte ich möglicherweise nicht ich selber, als hätte ich der Enkel jener schönen Bacchantin sein können: die Welt der Erscheinungen fing mir an zu schwanken; die Alte an meiner Seite flößte mir fast Grauen ein.
Aber ich wollte noch größere Gewißheit haben. »Waren Sie je in Antwerpen?« fragte ich.
– »In Antwerpen!« – Sie schien das Unvermittelte meiner Frage nicht zu fühlen; die alten Augen wurden noch greller als zuvor; mit beiden Händen auf der Krücke und vor Erregung mit dem Kopfe zitternd, stand sie vor mir. »Ob ich in Antwerpen gewesen bin? – – In der höchsten Blüte meiner Schönheit! – Mein Vater führte eins der größten Kauffahrteischiffe dieser Handelsstadt; er nahm mich mit dahin; sechs Wochen lang verweilten wir dort im Hafen. Ob ich in Antwerpen gewesen bin!«
Die Alte begann an ihrem Stabe in dem öden Saale auf und ab zu wandern, immer eifriger dabei erzählend: »Es war derzeit ein außerordentliches Leben dort; eine russische Flottille lag auf der Reede, die Offiziere gaben Bälle auf den breiten Orlogschiffen; und gar bald hatten sie denn auch entdeckt, daß am Bord meines Vaters sich eine Schönheit ersten Ranges befinde, wie sie dieselbe unter den niederländischen Juffrouwen auch mit der schärfsten Brille nicht hätten entdecken können. Bald war ich zu allen Bällen eingeladen – ich war die Königin des Festes!«
Sie stieß heftig mit ihrem Stock auf den Fußboden, daß die Glasbehänge der Kronleuchter aneinanderklirrten. »In einem mit farbigen Wimpeln und Bändern geschmückten Boote wurde ich von meines Vaters Schiff geholt! Unter den russischen Offizieren war ein griechischer Prinz; Konstantin Paläologus hieß er, der letzte Sprosse der alten byzantinischen Kaiserfamilie; – er ließ es sich nicht nehmen, mich selbst auf seinen Armen von Bord zu heben und mich sanft auf den seidenen Polstersitz des Bootes niederzulassen. Nur in französischer Sprache konnten wir uns unterhalten: ›Rose du Nord!‹ sagte er, indem er schmachtend zu mir aufblickte, und breitete mit eigenen Händen einen kostbaren Teppich unter meine Füße. – O mein Herr Stadtsekretär!« – sie schnarrte das Wort noch schärfer heraus als sonst – »wie damals das Meer und meine schwarzen Augen glänzten! Sie lagen alle zu meinen Füßen; alle! Der Prinz, die Offiziere, die Söhne der großen deutschen Handelshäuser, welche damals auf den Kontoren dort ihre Ausbildung erhielten, und von denen die vornehmsten auch zu diesen Bällen eingeladen wurden. – – Ich habe sie alle fortgestoßen, alle! – Und das freut mich noch!«
Sie focht mit dem Stocke durch die Luft, daß der Soldatenmantel von ihrer Schulter glitt, und sie nun in ihrer ganzen dürren Winzigkeit vor mir stand. In dem langen Spiegel drüben, wie in der Ferne, sah ich noch einmal eine solche Gestalt und mich an ihrer Seite stehen; noch einen zweiten Saal mit dem verblichenen Säulenmuster, den steifen Sofas und mit den großen Glaskronen, deren Kristallbehänge vergebens unter dem Staube zu glitzern suchten, womit still, aber emsig
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