Werke
konnte gleichwohl nicht von hinnen finden und ging hart an der Mauer und um die Ecke herum, bis wo die Hausthür ist. Dort, in dem tiefen Schatten, regete sich etwas, und ein Freudenschauer überströmete mein Herz; denn obschon ich nichts gewahren konnte, so wußte ich doch, es war das Rauschen ihres Kleides, welches ich vernommen hatte.
»Renate!« rief ich.
Da lagen ein Paar warme Hände in den meinen. »Ich wußte wohl, Josias, daß Ihr kommen würdet!«
Sie horchte noch einmal in die Thür; dann zog ich sie in den hellen Mondenschein hinaus, denn mich verlangte sehr nach ihrem Anblick.
Wir schlossen unsere Hände in einander und schritten so mitsammen über die weite Hofstatt nach dem Flusse zu. Was wir sprachen, mag nicht viel gewesen sein; doch ist mir noch bewußt, wir sahen beid auf unsere Schatten, wie sie vereinet vor uns auf den Rasen fielen, und so das Mondlicht zwischen ihnen Platz gewinnen wollte, neigeten wir uns schweigend zu einander und schaueten darauf hin, wie sie aufs neu in eins zusammenflossen. Dann stunden wir auf der Uferhöhe und sahen schweigend in das Land hinaus und hörten auf das Strömen des Flusses, der darunten mit seinen Wassern nach dem Meer hinabzog.
Da schlug es Mitternacht vom Dorfe herüber; und mit jedem Schlage, auf den wir mit verhaltenem Odem lauschten, schlossen unsere Hände sich fester in einander. »Renate«, sagte ich leise; »das war der letzte Tag.«
»Ja, Josias!« entgegnete sie ebenso.
»Und werde ich dich denn hier noch finden, so ich wieder heimgekommen?«
»Ich denke; wer sollte mich denn holen?«
– »Wer, Renate? Versuch es nur, sie nicht mehr fortzustoßen!«
Ich weiß nicht, was mich also zwang zu reden; denn einem Geier gleich hatte plötzlich die Angst der Eifersucht mich überfallen. Sie aber warf das Köpfchen in den Nacken, daß das Gold auf ihrem Käpplein glitzerte.
»Was redet Ihr, Josias!« sprach sie. »Mit denen Lümmeln hab ich nichts zu schaffen; sie mögen kommen oder nicht!«
Das war nun wohl ein hoffärtig Wort; und müßte doch lügen, daß es sich mir derzeit nicht wie Balsam auf mein Herz geleget.
Aber es kam itzt ein anderes, das solche Gedanken jählings von mir nahm.
Wir stunden nämlich, da wir solches sprachen, vor dem großen Scheunenthor, welches fast taghell vom Mond beleuchtet war. Vor etlichen Wochen hatte ich dort unter Peitschenknall den schweren Gottessegen einfahren sehen; nun lag alles da in großer Stille.
Und doch; oder hatte mich mein Ohr getäuscht? Da drinnen in der Scheuer rührete es sich; Renatens Hand zuckte in der meinen, und ihre Augen starreten; und itzt, gleich einem breiten grauen Schatten, quoll es unter dem Scheunenthor herfür, immer mehr und mehr, als ob’s von unhörbarem Peitschenschlag getrieben würde. Das rannte, daß wir kaum die Füße wahreten, an uns vorbei und über die bethaueten Wiesen nach dem Fluß hinab; und weiß ich nimmer, wo es in der Nacht verschwunden blieb.
Wohl merkte ich, wie Renate am ganzen Leibe bebte; ich aber schwieg lange Zeit, denn was meine Augen hier gesehen, das konnte ich fürder nicht vor mir verleugnen. Endlich sagte ich: »Das war gar wunderbar, Renate; du bist gar sehr erschrocken!«
Da richtete sie sich auf und sprach: »Die Ratten machen mich nicht fürchten, die laufen hier und überall; aber ich weiß gar wohl, was sie von meinem Vater reden, ich weiß es gar wohl! Aber ich hasse sie, das dumm und übergläubig Volk! Wollt nur, daß er über sie käme, den sie allezeit in ihren bösen Mäulern führen!«
Wegen solcher Rede entsetzete ich mich arg, denn das Mädchen hatte dräuend ihre kleine Faust zum Himmel aufgehoben. »Renate!« rief ich, »Renate!«
»Ja, ja; ich wollt es!« sprach sie wieder. »Aber er ist unmächtig; er kann nicht kommen!«
Ich hatte ihre erhobene Hand herabgezogen. »Berufe ihn nicht, Renate«, rief ich; »bete zu Gott und unserem Heiland, daß sie ihn von dir halten! Aber es ist der Geist des Husumer Atheisten, der aus deinem jungen Munde redet.«
»Atheist?« frug sie. »Ich kenne das Wort nicht; wen wollt Ihr damit schelten?«
Was Art Erklärung ich ihr hierauf gegeben, entsinne mich nicht mehr. Aber sie schüttelte nur den Kopf und sagte traurig: »Und unser arm alt Mariken, das haben sie mir nun auch allganz verwirret, daß schier nicht mehr mit ihr zu hausen ist! Es wird gar einsam werden, wenn auch Ihr nicht mehr kommt, Josias.«
Ich nahm ihr Antlitz in meine beiden Hände, und da ich es gegen das volle
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