Werke
Hause er das Gedächtnis seines Jugendlebens niederschrieb. Dann aber hieß es weiter:
Unseres von Dir erwähnten Schülerbesuches bei meinen Junggesellen-Onkeln in dem Ostenfelder Pastorate entsinne ich mich gar wohl; und daß Du den Onkel Josias in so warmer Affection behalten, hat mir insonders wohlgethan; die Fragen aber, die Du über ihn gestellet, wirst Du in dessen hier angeschlossener eigener Handschrift insgesamt beantwortet finden.
In Wahrheit, es waren zwei recht verschiedene Menschen, der Herr Josias mit seinem Johanneskopfe und der derbe aufbrausende pastor loci. Oftmals in meiner eigenen Amtsthätigkeit habe ich des ersten Sonntages dort gedenken müssen; Du kamest erst des Abends zu uns, ich aber saß schon vormittages an Onkel Josias’ Seite in der Kirche. Noch sehe ich unter den Abendmahlsgästen die leidtragenden Frauen vor dem Altare, welche nach damaliger Sitte bis über das Kinn in schwarze Decken eingehüllt waren; und wie der Onkel Pastor der einen mit den durch die ganze Kirche hin vernehmlichen Worten »Weg, weg damit!« die Decken voll Ungeduld zur Seite riß, indeß er mit der anderen Hand den Kelch emporhielt. Onkel Josias aber schüttelte still den Kopf und lehnte mit einem Lächeln sich in seinen Stuhl zurück. Gleichwohl, wie ich später beobachtet, da ich den letzten Sommer vor dem großen Examen dort meine Repetitionen machte, lebten die beiden Verwandten in guter Eintracht mit einander. Beide waren Männer, die, wie man sagt, das Ihrige gelernet hatten und dies nicht in Vergessenheit gerathen lassen wollten. Sie unterhielten sich oft über gelehrte Gegenstände und disputirten dann, auch wohl lateinisch, mit einander.
In einem Punkte aber stimmten sie völlig überein; sie beide glaubten noch an Teufelsbündnisse und an Schwarze Kunst und erachteten solch thörichten Wahn für einen nothwendigen Theil des orthodoxen Christenglaubens. Der Ostenfelder Pastor that dieses im zornigen Bewußtsein eines wohl gerüsteten Kämpfers, der Onkel Josias dagegen, zu dessen zarter Gemüthsbeschaffenheit dieser wilde Glaube gar übel paßte, schien selbigen mir gleich einer Last zu tragen. Deshalb suchte ich oft, wenn wir alleine waren, mit Gründen aus der Heiligen Schrift wie aus der menschlichen Vernunft ihm solches auszureden; allein mit allem seinem Scharfsinn, wenn gleich als wie in schmerzlicher Ergebung, vertheidigte er die gottlose Macht des Erzfeindes.
Als der Sommer zu Ende ging, wurde für seine Gesundheit die strengste Vorsicht nöthig; er durfte sonntags die Kirche nicht mehr besuchen, kaum noch das Haus verlassen; aber seine milde Freundlichkeit und seine, ich möchte sagen, schwermuthsvolle Heiterkeit blieben sich auch dann noch gleich.
Da war es kurz vor meiner Abreise an einem Morgen im October; der erste Reif war gefallen und eine frische Klarheit durch die Luft verbreitet. Ich wandelte im Garten auf und ab und sah dabei bisweilen in die Zeitung, welche der Stadtbote mir soeben durch den Zaun gereicht hatte. Als ich nun las, daß der einst vielberühmte, aber seit lange seines Amtes wegen Simonie entsetzte Petrus Goldschmidt als ein Schenkenwirth bei Hamburg das Zeitliche gesegnet habe, eilete ich ins Haus und dachte, nicht ohne eine kleine Schadenfreude, solches dem Onkel Josias zu verkünden.
Als ich zu ihm eintrat, war mir, als sei auch in dieses sonst etwas dunkle Zimmer der schöne lichte Morgen eingedrungen; denn trotz des brennenden Ofenfeuers standen beide Fensterflügel offen, und der Schall von den benachbarten Dreschtennen und von hellen Kinderstimmen hatte freien Eingang.
Aber zu meiner beabsichtigten Mittheilung kam ich nicht.
Feierlich, mit strahlendem Antlitz, trat Herr Josias mir entgegen. »Mein Andreas«, rief er, »wir werden fürder nicht mehr disputiren; ich weiß es itzt in diesem Augenblick: der Teufel ist nur ein im Abgrund liegender unmächtiger Geist!«
Indeß ich vor Erstaunen schier verstummte, gewahrte ich das Buch des Thomasius von dem Laster der Zauberei auf seinem Tische aufgeschlagen. Ich hatte es nach unserer letzten Disputation dort heimlich hingelegt und frug nun, ob ihm daraus die heilvolle Erkenntniß zugekommen.
Aber Herr Josias schüttelte den Kopf. »Nein«, sprach er, »nicht aus jenem guten Buch; es hat das Licht sich plötzlich in mein Herz ergossen. Ich denke so, Andreas: die Schatten des Todes wachsen immer höher; da will der Allbarmherzige die anderen Schatten von mir nehmen.«
Seine Augen leuchteten wie in
Weitere Kostenlose Bücher