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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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am Ende ihres Lebens an einem sehr hohen Galgen hängen.
    Das war denn doch zuviel; Kätti brach in bittere Tränen aus.
    »Aber, Unglückskind, was hast du denn getrieben?« Herr Zippel hatte ihre Hände ergriffen und blickte zweifelnd und ratlos auf sie hin.
    »Ich habe nicht gefaulenzt«, sagte Kätti.
    »Nicht gefaulenzt? Aber was denn sonst?«
    »Ich habe nur was anderes getan, als was sie in der Schule tun!« Und dabei zeigte sie ihrem Vater die Fingerspitzen ihrer beiden Händchen.
    Herr Zippel besichtigte eine nach der andern mit wachsendem Erstaunen. »Aber, zum Erbarmen! die sind ja alle wund, die einen noch schlimmer als die andern!«
    »Ja«, sagte Kätti, »das ist auch nicht so leicht!«
    »Aber, um des Himmels willen, wo hast du denn gesteckt?«
    Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: »Ist der Primaner zu Hause?«
    »Der Primaner? Nein, der ist eben fortgegangen. Aber was soll denn der Primaner?«
    »Komm!« sagte sie. Und schon hatte sie ihres Vaters Hand ergriffen und zog ihn mit sich fort: die Treppe hinauf, über den Boden, dann in das Giebelstübchen.
    Rasch langte sie die Gitarre von der Wand, setzte ihr eines Füßchen auf ein dickes Lexikon, das auf dem Fußboden lag, und ein paar voll gegriffene Akkorde erklangen unter ihren Fingern.
    Herr Zippel stand mit untergeschlagenen Armen und weit aufgerissenen Augen gegen die Wand gelehnt. Er hatte eine Lieblingskanzonetta. »Kätti«, sagte er mit vor Erwartung bebender Stimme: »Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus!«
    Kätti hatte es tausendfach von ihrem Vater singen, pfeifen und brummen gehört; es war auch das erste gewesen, wozu sie sich die Begleitung auf dem Instrument zusammengelesen hatte. Und nun, während die kleinen Finger aufs neue das Griffbrett faßten, hub sie an und sang mit ihrer etwas schrillen Kinderstimme: »Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus, ade!«
    »Ade!« sang Herr Zippel schüchtern und wie fragend mit.
    »Und wenn es denn soll geschieden sein –«
    Herr Zippel hatte sich hoch aufgerichtet; seine Augen begannen zu leuchten, bald schlug er die Hände über dem Rücken ineinander, bald fuhr er damit durch seine aufgeregten Haare; dann aber, als der Refrain wiederkehrte, setzte er mutig mit seiner scharfen Tenorstimme ein, und bald sangen Vater und Tochter miteinander, daß es durch Haus und Boden schallte:
     
    Ade, ade, ade!
    Ja, Scheiden und Meiden tut weh!
     
    »Rosalie! Mein Kind, mein Genie!« Herr Zippel schloß das winzige Geschöpfchen in seine Arme und betaute es mit seinen Tränen. »Ja, ja, die alte Schulmamsell mit ihrem Strickstrumpf, mit ihrer trockenen gelben Jungfernnase, was weiß auch die –«
    Als er infolge eines Geräusches umblickte, stand die dicke Magd mit ihrem Kochlöffel in der offenen Stubentür. »Herr Zippel, vorm Laden ist ein Junge, der will für’n Schilling Butterkringel!«
    »Der Junge soll zum Teufel gehen!«
    »Aber, Herr Zippel!«
    »So ruf den Burschen!«
    »Herr Zippel, ich weiß nicht, wo der Bursche ist.«
    »Nun, so gib ihm selbst die Kringel!«
    »Aber ich bin nicht für den Laden, Herr Zippel!«
    Er stieß die dicke Magd zur Seite und rannte scheltend über den Boden in das Unterhaus hinab. Die Magd sah ihm ruhig nach und watschelte dann langsam hinterdrein.
    Kätti war allein. Sie setzte sich ans Fenster, hauchte auf ihre Fingerchen, stützte dann ihr Köpfchen an den Hals der Gitarre und blickte nachdenklich in das Gezweige des großen im Hofe stehenden Walnußbaumes, wo ihr grauer Kater »Nickebold« sich mit der Sperlingsjagd beschäftigte. Was half das alles! Das häusliche Ungewitter war zwar vorübergezogen; aber in die dumme Schule mußte sie ja nun doch wieder jeden Nachmittag; und außer den Schulstunden – wann war sie dann vor dem Überfalle des Primaners sicher? – Plötzlich trat ein entschlossener Zug um ihren hübschen Mund; aber da sie eben wie zur Ermutigung einen nach dem andern ihrer eingelernten Akkorde griff, schallten junge Männerstimmen von unten und jetzt schon aus dem Treppenhaus hinauf.
    Im Nu hing die Gitarre an der Wand, und Kätti war wie fortgeblasen.
     
    Ein paar Stunden später saß der hübsche Primaner – Wulf Fedders hieß er – in voller Arbeitstätigkeit an seinem Tische. Vor sich hatte er die Tür nach dem weiten Boden offenstehen; vermutlich nur weil der geschlossene Stubenraum ihm seinen Geist beengte; denn er blickte nicht hinaus, sondern war emsig bemüht, für seinen deutschen Aufsatz eine Kette von Satzfolgen zu

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