Werke
dasselbe auch bei mir bemerkt; es geht mir nach, ich könnte auch plötzlich so hinweggenommen werden.«
Bernhard ergriff seine Hand, deren herzlichen Druck er nicht zu erwidern wagte: »Aber weshalb ziehst du nicht einen Arzt zu Rate, einen Spezialisten?«
»Ich tat es ; neulich bei Gelegenheit meiner Geschäftsreise.«
»Und er hat dir keinen Trost gegeben?«
»Doch, was so die Ärzte schwatzen, aber ich weiß es besser.«
Noch einmal empfand er Bernhards Händedruck, in welchem alle Versicherung eines treuen Herzens lag.
– – Ein paar Stunden später befanden die Förstersleute sich wieder auf der Rückfahrt. Anna saß an ihres Mannes Seite das Haupt geneigt, wie in Gedanken eingesponnen: Rudolf und Bernhard – ihr war es immer wieder, als sähe sie die beiden in der sinkenden Dämmerung an dem Moore entlanggehen ; sie meinte die erregte Stimme ihres Mannes, die beschwichtigende ihres Jugendfreundes zu vernehmen; nur die Worte selbst – ja, wenn sie nur die Worte hätte hören können! Sie war ja jung, sie fürchtete sich nicht; nur wissen mußte sie, wo sie das Unheil fassen könne. Aber – auch Bernhard mußte ja von allem wissen; hatte doch auch er, der noch am Nachmittage wie in früherer Zeit mit ihr geplaudert hatte, beim Abendessen kaum ein Wort oder doch nur wie gezwungen zum Gespräche beigetragen! Einen Augenblick war’s, als ständen ihr die Gedanken still, dann aber richtete sie sich mit einem tiefen Atemzuge auf; gleich morgen – sie wußte keinen andern Ausweg- wollte sie an Bernhard schreiben. »Wo sind wir, Rudolf?« frug sie und sah mit klaren Augen um sich.
Rudolf schrak empor, als würde er aus schwerem Traum geweckt, und wieder, wie auf dem Hinwege, fuhr das Pferd in der Deichsel auf. Ein paar Schläge mit der Peitsche, dann wies er schweigend nach den Wäldern, die sich einige Büchsenschüsse weit zu ihrer Rechten gleich einem düsteren Wall entlangzogen. Darüber stand der volle Mond, der in der weichen Herbstnacht ein fast goldenes Licht über die schlafenden Fluren ausgoß. »Wie schön!« sagte Anna. »Ist das da drüben euere Wildnis? Armer Rudolf, die wird dir wohl noch viel zu schaffen machen!«
Er hatte den Kopf zu ihr gewandt; und er sah sie an, als ob er keine Antwort darauf habe. Sie bemerkte es nicht; das Tuch um ihre Schultern war herabgeglitten, und sie mühte sich, es wieder festzustecken. Als sein Blick auf ihre unverhüllte Hand fiel, deren schöne Form das milde Nachtgestirn mit seinem Licht verklärte, zuckte es um des Mannes Lippen, und seine Augen wurden wie vor Schmerz gerötet.
Der Weg zog sich dichter an die Wälder, und bald rollte der Wagen in ihrem Schatten; das Mondlicht fiel jetzt über sie hin auf die weiter seitwärts liegenden Wiesen; eine weidende Kuh brüllte ein paarmal von dort herüber. »Zu Hause!« sagte Anna, ihre Reisehüllen von sich streifend, »wir sind gleich zu Hause!«
Als bald darauf der Wagen anhielt, trat von der Haustreppe die Magd in augenscheinlicher Hast heran: die Frau Forstjunkerin seien abends angekommen, aber vor einer Stunde schon zur Ruh gegangen ; Frau Försterin möge sich nur ganz beruhigen, Sie hätten ihr, der Magd, den Speisekammerschlüssel ja gelassen, es habe der gnädigen Frau an nichts gefehlt.
Rudolf, der schon neben dem Wagen stand, war totenbleich geworden; wäre der Schatten des Hauses nicht gewesen, so hätte Anna es gewahren müssen. »Jetzt schon!« kam es kaum hörbar über seine Lippen; dann hob er das junge Weib herab und sagte laut: »So muß ich morgen früh heraus!«
»Morgen, Rudolf? Aber du bist dann zeitig doch zurück?«
Er war schon in das Haus getreten, und Anna folgte mit der Magd, den Kopf jetzt voll Gedanken an die Gegenwart der Mutter, deren Beistand sie nicht mehr in Rechnung nahm.
Es war noch dunkel, als vor Anbruch des Morgens neben dem Bette der schlummernden jungen Frau sich ein schweres, überwachtes Haupt aus den Kissen hob. Bald darauf – ein dichter Nebel draußen machte die erste Dämmerung noch fast zur Nacht – trat Rudolf leisen Schrittes in sein Zimmer; tastend, mit unsicherer Hand, zündete er die auf dem Tische stehende Lampe an, bei deren Scheine jetzt sein blasses Antlitz mit den brennenden Augen aus dem Dunkel trat.
Nachdem er die Klappe des am Fenster stehenden kleinen Pultes aufgeschlossen und eine Lage Papier herausgenommen hatte, setzte er sich daneben an den Tisch und begann zu schreiben. Eine amtliche Arbeit schien es nicht zu sein, denn er hatte
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