Werke
der freigebliebenen Hand nach der vorhin fortgelegten Feder. Nein, nein, das war vorüber; die Arbeit, die da vor ihm lag, die mußte noch zu Ende!
Er begann auch wirklich bald zu schreiben, und der fast leere Bogen füllte sich bis auf die Hälfte; dann aber, während er grübelnd darauf hinstarrte, verloren sich die Buchstaben in verworrenes Gekritzel. Allmählich jedoch schien wieder eine bestimmte Vorstellung Platz zu greifen. Der Umriß eines menschlichen Schädels trat deutlich genug hervor; aus einem Tintenklecks daneben wurde eine spinnenartige Ungestalt, die immer mehr und längere Arme nach dem Schädel streckte; nur statt des Spinnen war es ein Hundskopf, der sich wie gierig aus dem dicken Leib hervordrängte.
Aber mit wie großer Emsigkeit auch Rudolf diese seltsame Arbeit zu betreiben schien, sie war doch nur der Punkt, von welchem aus seine Gedanken sich ihre finstern Gänge wühlten. Er hatte eben die Feder fortgeworfen, als Anna nach einem tiefen Atemzuge die Augen aufschlug. »Du, Rudolf?« Und wie ein erstauntes Kind blickte sie um sich her. »Aber du arbeitest nicht mehr, weshalb sind wir nicht zu Bett gegangen?«
Seine überwachten Augen sahen sie an, als habe er keine Antwort auf diese einfache Frage.
»Du schliefst«, sagte er endlich, »ich mochte dich nicht wecken.«
Sie wollte sich aufrichten, als ihr Blick auf das Papier fiel, worauf er eben jene symbolische Zeichnung hingeschrieben hatte. »Was ist das?« rief sie. »Was hast du da gemacht? Ein Totenkopf!«
Seine Lippen zitterten, als ob sie mit noch ungesprochenen Worten kämpften. »Nein, nein«, sagte er; »das nicht, so war es nicht gemeint.«
Anna sah ihn ängstlich an: »Weshalb nimmst du deinen Arm fort, Rudolf? Du hältst mich jetzt so selten nur in deinem Arm!«
Er riß sie heftig an sich, und noch einmal sank ihr Kopf an seine Schulter; wie in Angst, als ob sie ihm entschwinden könnte, umschloß er sie mit beiden Armen. So saßen sie lange; nur die Atemzüge des einen waren dem andern hörbar. »Anna!« kam es zuerst dann über seine Lippen.
»Ja, Rudolf?«
»Was meinst du, Anna« – aber es war, als würde er nur mühsam seiner Worte Herr –, »ich dächte, wir könnten morgen wohl zu Bernhard fahren?«
»Zu Bernhard?« Sie hatte sich losgewunden, das Kartenhaus, das sie sich mit soviel Sorge aufgebaut hatte, drohte einzustürzen: Rudolf war nicht eifersüchtig! Oder – als ob sie alles um sich her vergesse, stand sie vor ihm – sollte es mit dieser Reise eine Liebesprobe gelten?
Wie auf sich selber scheltend, schüttelte sie zugleich das Haupt; aber sie mühte sich umsonst, ein andres zu ergrübeln; der Ton seiner Stimme war nicht gewesen, als ob er sie zu einer Lustreise hätte auffordern wollen.
Und jetzt hörte sie dieselbe Stimme wieder: »Du antwortest mir nicht, Anna!«
Sie warf sich vor ihm nieder: »Rudolf, geliebter Mann! Wann und wohin du willst!« Ein leuchtender Strom brach aus den blauen Augen, und die jungen Arme streckten sich ihm entgegen.
Aber nur eine kalte Hand legte sich auf ihr Haupt, das flehend zu ihm aufsah: »So laß uns versuchen, ob wir schlafen können.«
Am andern Morgen saß Rudolf schon wieder früh am Schreibtisch, seine Feder flog, die halbfertigen Arbeiten wurden rasch vollendet, ebenso rasch mußte der Schreiber sie kopieren. Inzwischen ordnete er selbst, was an Schriften und Karten sich auf Tisch und Stühlen in den letzten Tagen angehäuft hatte; oftmals warf er einen Blick auf die Wanduhr, um dann wieder in stummem düsterem Vorwärtsdrängen seine Arbeit fortzusetzen.
Als es acht geschlagen hatte, nahm er die von dem Schreiber fertiggestellten Schriften und machte sich auf den Weg zum Schlosse. Im Zimmer des Grafen, der in anderen Arbeiten saß, gab er auf die hastig hingeworfenen Fragen rasch und knappe Auskunft; es schien ihm wenig daran gelegen, ob seine Meinung Beifall finde.
Der Graf sah seinem Förster in das blasse Gesicht, und als dieser nach einem längeren geschäftlichen Gespräche fortgegangen war, blickte er noch eine Weile gegen die Tür, bevor er sich wieder zu der vorhin verlassenen Arbeit wandte.
– – Nachdem das junge Ehepaar zeitig sein Mittagsmahl eingenommen hatte, wurde der Einspänner aus dem Schuppen gezogen und der Rappe in die Deichsel gespannt. Wohl eine Stunde lang fuhren sie am Rande der gräflichen Waldungen; wieder, wie tags vorher, stand die goldene Septembersonne am Himmel, und der stärkende Duft des herbstlichen Blätterfalles
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