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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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seinem Angesicht war nichts zu lesen; nur der beklommene Ton, den sie in seiner Stimme bemerkt zu haben glaubte, schien zu dem einfachen Inhalt seiner Worte nicht zu passen. Aber – es war ja Bernhard; was konnte zwischen ihm und Bernhard Übles denn geschehen! Wie ein Morgenschein leuchtete das Vertrauen zu ihrem Jugendfreunde auf ihrem schönen Antlitz; lächelnd nickte sie den beiden Männern nach, dann nahm sie Juliens Arm, um mit ihr den Rückweg anzutreten.
    »Das ist die Rache«, sagte sie scherzend; »vor einem Jahre waren wir es, die sie im Stiche ließen.«
    Aber Rudolf und Bernhard redeten nicht miteinander, und die Jagdgründe wurden weder besichtigt noch aufgesucht. Schon lange waren sie schweigend auf dem durch tiefe Wagenspuren zerrissenen Wege fortgegangen, beide die Augen nach der untergehenden Sonne gerichtet, die mit ihren letzten Strahlen das braune Heidekraut vergoldete. Eine Nachtschwalbe mit ihrem lautlosen Fluge huschte vor ihnen auf und duckte sich eine Strecke weiter von ihnen auf den Weg, bis sie wiederum auch hier vertrieben wurde. »Weshalb«, begann endlich Bernhard, wie nur um überhaupt ein Wort zu sagen, »seid ihr nicht im Sommer zu uns gekommen, als die Heide blühte und das Korn geschnitten wurde? Deine Frau schrieb einmal darüber meiner Schwester; aber ihr kamt doch nicht.«
    Rudolf, der neben ihm ging, blieb einen Schritt zurück. »Du weißt«, sagte er, »es war von beiden Seiten etwas zu verwinden.«
    Der andre zuckte, und seine Hand zitterte, mit der er sich den starken Bart zur Seite strich : »Also Anna hat es dir mitgeteilt, daß ich so beschämt vor ihr gestanden?«
    »Du meinst, sie sollte ein Geheimnis mit dir teilen!«
    »Nicht das, Rudolf«, sagte Bernhard ruhig; »aber was nützte es dir, zu wissen, daß ich soviel ärmer bin als du?«
    Rudolfs letzte Worte waren jäh herausgefahren; jetzt trat er wieder an Bernhards Seite. »Du kamst zu spät«, sagte er; »dasselbe hätte mir geschehen können; und – wenn es so gekommen wäre, ihr wäre dann wohl ein glücklicheres Los gefallen.«
    Die lang bedachten Worte waren ausgesprochen; aber seine Stimme wankte, und seine Augen, mit denen er, jetzt stehenbleibend, den andern anstarrte, waren wie versteint.
    Bernhard sah ihn fast entsetzt an. »Mensch«, schrie er, »wie kannst du, der Glückliche, so etwas zu mir sprechen?«
    Rudolf beantwortete diese Frage nicht. »Bernhard«, sagte er leise, »du liebst sie noch; gesteh es, daß du sie noch liebst!« Ein feindseliges Feuer brannte in seinen Augen, aber er drängte es mit Gewalt zurück.
    Bernhard hatte nichts davon gemerkt; er sagte düster: »Du solltest doch der letzte sein, der daran rührte.«
    »Nein, nein, Bernhard, du irrst! Sich nicht auf mein Gesicht; aber glaub es mir: es tut mir wohl, daß du sie liebst«; und er ergriff Bernhards beide Hände und drückte sie heftig; »nun weiß ich, du wirst sie nicht verlassen.«
    Der andere erhob langsam das Haupt: »Was willst du, Rudolf? Weshalb bist du heute zu mir gekommen? – Gewiß, wenn Anna jemals meiner bedürfte; wenn deine Hand nicht mehr da wäre, ich würde Anna nicht verlassen, nicht – solang ich lebe.«
    Rudolf hatte beide Hände vors Gesicht gedrückt. »Ich danke dir«, sagte er leise; »wollen wir jetzt zurückgehen?«
    Es geschah so; und die grauen Schleier der Dämmerung breiteten sich immer dichter über Moor und Feld. Rudolf hatte seinen Zweck erreicht: was er bisher nur geglaubt hatte, war ihm jetzt Gewißheit; das übrige, er sagte es sich mit Schaudern, würde sich von selbst ergeben.
    Auch Bernhard war in tiefem Sinnen neben ihm geschritten.
    »Aber«, begann er jetzt, nachdem sie vom Moore wieder zwischen die Felder hinausgelangt waren, »wie sind wir doch in ein solches Gespräch geraten? Du lebst und bist gesund; weshalb sollte Anna anderer Hülfe bedürfen?«
    Rudolf hatte diese Frage erwartet, ja, er hatte sich künstlich darauf vorbereitet; jetzt, da sie wirklich an ihn herantrat, machte es ihn stutzen; ein Gefühl wie bei unredlichem Beginnen überkam ihn, es war schon recht, daß die zunehmende Dunkelheit sein Angesicht verdeckte. »Ich habe dir wohl schon davon gesprochen«, sagte er, »daß ich meinen Vater plötzlich durch einen frühen Tod verlor; es war ein Herzleiden; einem und dem andern unserer Vorfahren ist es ebenso ergangen; allerlei Symptome waren vorausgegangen – – ich war noch ein Kind; aber später hat meine Mutter mir es erzählt, in den letzten Monden hab ich ganz

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