Werke
ungeheueren Raum verloren hatte.
Der jetzige Besitzer des Staatshofes ist Klaus Peters. Er hat die alte Hauberg niederreißen lassen und ein modernes Wohnhaus an die Stelle gesetzt. Die Wirtschaftsgebäude liegen getrennt daneben. – Er hat recht gehabt, es geht ihm wohl; er liefert die größten Mastochsen zum Transport nach England, in seinen Zimmern stehen die kostbarsten Möbeln, und er und seine Juliane glänzen von Gesundheit und Wohlbehagen. Ich aber bin niemals wieder dort gewesen.
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Veronika
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In der Mühle
Es war zu Anfang April, am Tage vor Palmsonntag. Die milden Strahlen der schon tief stehenden Sonne beschienen das junge Grün an der Seite des Weges, der an einer Berglehne allmählich abwärts führte. Auf demselben ging in diesem Augenblick einer der angesehensten Advokaten der Stadt, ein Mann mittleren Alters, mit ruhigen, aber ausgeprägten Zügen, gemächlichen Schrittes, nur mitunter ein Wort mit dem neben ihm gehenden Schreiber wechselnd. Das Ziel ihrer Wanderung war eine unfern belegene Wassermühle, deren durch Alter und Krankheit geplagter Besitzer dieselbe seinem Sohne kontraktlich überlassen wollte.
Wenige Schritte zurück folgte diesen beiden ein anderes Paar; neben einem jungen Manne mit frischem, intelligentem Antlitz ging eine schöne, noch sehr jugendliche Frau. Er sprach zu ihr; aber sie schien es nicht zu hören; aus ihren dunkeln Augen blickte sie schweigend vor sich hin, als wisse sie nicht, daß jemand an ihrer Seite gehe.
Als das Gehöft des Müllers unten im Tale sichtbar wurde, wandte der Justizrat den Kopf zurück. »Nun, Vetter«, rief er, »du hast eine leidliche Handschrift; wie wär es, wenn du ein wenig Kontraktemachen lerntest?«
Aber der Vetter winkte abwehrend mit der Hand. »Geht nur!« sagte er und blickte fragend auf seine Begleiterin, »ich nehme indes eine Sprechstunde bei deiner Frau!«
»So mach ihn wenigstens nicht gar zu klug, Veronika!«
Die junge Frau neigte nur wie zustimmend den Kopf. – Hinter ihnen von den Türmen der Stadt kam das Abendläuten über die Gegend. Ihre Hand, mit der sie eben das schwarze Haar unter den weißen Seidenhut zurückgestrichen, glitt über die Brust hinab, und indem sie das Zeichen des Kreuzes machte, begann sie leise das angelus zu sprechen. Die Blicke des jungen Mannes, der gleich seinem Verwandten einer protestantischen Familie angehörte, folgten mit einem Ausdrucke von Ungeduld der gleichmäßigen Bewegung ihrer Lippen.
Vor einigen Monaten war er als Architekt bei dem Neubau einer Kirche in die Stadt gekommen, und seitdem ein fast täglicher Gast in dem Hause des Justizrats geworden. Mit der jungen Frau seines Vetters geriet er sogleich in lebhaften Verkehr; sowohl durch die Gemeinsamkeit der Jugend als durch seine Fertigkeit im Zeichnen, das auch von ihr mit Eifer und Geschick betrieben wurde. Nun hatte sie in ihm einen Freund und Lehrmeister zugleich gewonnen. Bald aber, wenn er des Abends neben ihr saß, war es nicht sowohl die vor ihr liegende Zeichnung als die kleine arbeitende Hand, auf der seine Augen ruhten; und sie, die sonst jeden Augenblick den Bleistift fortgeworfen hatte, zeichnete jetzt schweigend und gehorsam weiter, ohne aufzusehen, wie unter seinem Blick gefangen. Sie mochten endlich selbst kaum wissen, daß abends beim Gutenachtsagen ihre Hände immer ein wenig länger aneinander ruhten, und ihre Finger ein wenig dichter sich umschlossen. Der Justizrat, dessen Gedanken meistens in seinen Geschäften waren, hatte noch weniger Arg daraus; er freute sich, daß seine Frau in ihren Lieblingsstudien Anregung und Teilnahme gefunden hatte, die er selbst ihr nicht zu gewähren vermochte. Nur einmal, als kurz zuvor der junge Architekt ihr Haus verlassen hatte, überraschte ihn der träumerische Ausdruck ihrer Augen. »Vroni«, sagte er, indem er die Vorübergehende an der Hand zurückhielt, »es ist doch wahr, was deine Schwestern sagen.« – »Was denn, Franz?« – »Freilich«, sagte er, »jetzt seh ich’s selbst, daß du gefirmte Augen hast.« – Sie errötete; und duldete es schweigend, als er sie näher an sich zog und küßte. – –
Heute bei dem schönen Wetter waren sie und Rudolf von dem Justizrat aufgefordert worden, ihn auf seinem Geschäftsgange nach der nahe gelegenen Mühle zu begleiten.
Seit der gestrigen Gesellschaft, wo sie eine unter seinen Augen vollendete Zeichnung auf Bitten ihres Mannes vorgelegt hatte, war indessen zwischen ihnen nicht alles so, wie es gewesen.
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