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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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herangetreten und neigte sich über das Deckbett. »Ihm fehlt nur die Luft«, sagte sie, »das Essen schmeckt ihm gut genug.«
    »Welchen Arzt habt Ihr denn?« fragte der Justizrat, der mit einem Schriftstück in der Hand daneben stand.
    »Arzt?« wiederholte sie. »Wir haben keinen Arzt.«
    »Da tut Ihr unrecht!«
    Das junge Weib stieß ein verlegenes Lachen aus. »Es ist die Altersschwäche«, sagte sie, indem sie ihrem dicken Jungen sein Näschen mit der Schürze putzte, »da hilft der Doktor nichts dazu.«
    Veronika horchte atemlos auf diese Reden. – Der Alte begann zu husten und fuhr mit der Hand nach seinen Augen.
    »Ist das so Euer Wille, Martin, wie es hier geschrieben steht?« fragte jetzt der Justizrat.
    Aber der Kranke schien ihn nicht zu hören.
    »Vater«, sagte das junge Weib, »ob das so richtig ist, wie es der Herr Justizrat vorgelesen hat?«
    »Freilich«, sagte der Kranke, »es ist alles so richtig.«
    »Und Ihr habt alles wohl bedacht?« fragte der Justizrat.
    Der Alte nickte. »Ja, ja«, sagte er, »ich hab es mir lassen sauer werden; aber der Junge darf doch nicht zu schwer zu sitzen kommen.«
    Der Sohn, der bisher rauchend in der Ecke gesessen, mischte sich jetzt in das Gespräch. »Es kommt auch noch die Abnahme dazu«, sagte er und räusperte sich ein paarmal, »der Alte lebt noch sein artlich Ende weg.«
    Der Justizrat blickte mit seinen grauen Augen auf den vierschrötigen Bauer hinab. »Ist das Euer Sohn, Wiesmann?« fragte er, indem er auf einen neben dem Bette spielenden Jungen zeigte. – »So laßt ihn hinausgehn, wenn Ihr vielleicht noch mehr zu reden habt!«
    Der Mensch schwieg; aber seine Augen begegneten mit einem fast drohenden Ausdruck denen des Justizrats.
    Der Greis strich mit seiner harten Hand über das Deckbett und sagte ruhig: »Es wird nicht gar so lange, Jakob. – Aber«, setzte er, zum Justizrat gewandt, hinzu, »er muß mich dann nach Dorfs Gebrauch zur Erde bringen lassen; das kostet auch.« – –
    Die junge Dame verschwand lautlos, wie sie gekommen, aus der offenen Tür, in der sie während dieses Vorganges gestanden hatte.
    Draußen sah sie Rudolf jenseit des Gartens im Gespräche mit dem Mühlknappen; aber sie wandte sich ab und ging einen Fußsteig entlang, der unterhalb der Mühle an den Bach hinabführte. Ihre Augen schweiften bewußtlos in die Ferne; sie sah es nicht, wie die Dämmerung vor ihr auf die Berge sank, noch wie allmählich, während sie hier auf und ab wandelte, der Mond hinter ihnen emporstieg und sein Licht über das stille Tal ergoß. Das Leben in seiner nackten Dürftigkeit stand vor ihr, wie sie es nie gesehen; ein endloser öder Weg, am Ende der Tod. Ihr war, als habe sie bis jetzt in Träumen gelebt, und als wandle sie nun in einer trostlosen Wirklichkeit, in der sie sich nicht zurechtzufinden wisse.
    Es war schon spät, als die Stimme ihres Mannes sie auf das Gehöft zurückrief, wo sie an der Tür von ihm erwartet wurde. – Auf dem Heimwege ging sie schweigend neben ihm, ohne zu fühlen, wie seine Augen teilnehmend auf ihr ruhten. »Du bist erschreckt worden, Veronika!« sagte er und legte die Hand an ihre Wange; »aber«, fügte er hinzu, »das Maß der Dinge ist für diese Leute ein anderes; sie sind, wie gegen die Ihrigen, so auch härter gegen sich selbst.«
    Sie sah einen Augenblick zu dem ruhigen Antlitz ihres Mannes auf; dann aber blickte sie zur Erde und ging demütig an seiner Seite.
    Ebenso schweigsam folgte Rudolf neben dem alten Schreiber. Seine Augen hingen an der vom Mond beleuchteten Frauenhand, die noch vor kurzem so willenlos in der seinen gelegen und die er nun zur guten Nacht noch einmal, wenn auch auf einen Augenblick nur, zu umfassen hoffte. – Aber es wurde anders; denn, als sie in die Nähe der Stadt kamen, sah er die kleinen Hände, eine nach der andern, in ein Paar dunkler Handschuhe gleiten, die, wie er wohl wußte, Veronika sonst nur der vollständigen Toilette wegen bei sich zu tragen pflegte.
    Endlich hatten sie das Haus erreicht; und ehe er sich dessen in seinem Unmut recht bewußt wurde, empfand er schon die flüchtige Berührung der verhüllten Finger an den seinen. Mit einem vernehmlich gesprochenen »Gute Nacht!« hatte Veronika die Tür geöffnet und war, ihrem Manne voraus, im Dunkel des Flures verschwunden.
2
Palmsonntag
    Der Vormittag des Palmsonntags war herangekommen. Die Straßen der Stadt wimmelten von Landleuten aus den benachbarten Dörfern. Im Sonnenschein vor den Türen der Häuser standen

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