Werke
Rudolf fühlte das nur zu wohl; und er vergegenwärtigte es sich jetzt noch einmal, wie es denn gekommen, daß er dem zwar etwas übermäßigen Lobe der andern mit so scharfem leidenschaftlichem Tadel entgegengetreten war.
Veronika hatte längst ihr Gebet beendet; aber er wartete vergebens, daß sie die Augen zu ihm wende.
»Sie grollen mir, Veronika!« sagte er endlich.
Die junge Frau nickte kaum merklich; aber ihre Lippen blieben fest geschlossen.
Er sah sie an. Der kleine Trotz lag immer noch auf ihrer Stirn. »Ich dächte«, sagte er, »Sie wüßten, wie es geschehen konnte! Oder wissen Sie es nicht, Veronika?«
»Ich weiß nur«, sagte sie, »daß Sie mir weh getan. – Und«, setzte sie hinzu, »daß Sie mir weh tun wollten.«
Er schwieg eine Weile. »Haben Sie denn«, fragte er zögernd, »das kluge Auge des alten Mannes nicht bemerkt, der Ihnen gegenüberstand ?«
Sie wandte den Kopf und blickte flüchtig zu ihm auf.
»Ich mußte es selber tun, Veronika – verzeihen Sie mir! – Ich kann Sie nicht von andern tadeln hören.«
Es zog sich wie ein Schleier über ihre Augen, und die langen schwarzen Wimpern senkten sich tief auf ihre Wangen; aber sie erwiderte nichts. – –
Kurz darauf hatten sie das Gehöft erreicht. Der Justizrat wurde von dem Sohn des Müllers in das Wohnhaus geführt; Veronika und Rudolf traten in den zur Seite liegenden Garten. Aber sie gingen schweigend auf dem langen Steige fort; es war fast, als zürnten sie miteinander, als würde ihnen der Atem schwer, wenn sie dennoch wie beiläufig ein einzelnes Wort zu reden suchten.
Als sie den Garten durchwandert hatten, gingen sie über einen schmalen Steg in die untere Tür des Mühlengebäudes, welches hier zu Ende desselben an einem stark fließenden Wasser lag. – Durch das Klappern des Werkes und das Getöse des stürzenden Wassers, welches jeden von außen kommenden Laut verschlang, herrschte eine seltsame Abgeschiedenheit in dem fast dämmerigen Raume. Veronika war gegenüber in die Tür getreten, die zu dem Gerinne hinausführte, und blickte unter sich in die tosenden Räder, auf denen das Wasser in der Abendsonne blitzte. Rudolf folgte ihr nicht; er stand drinnen neben dem großen Kammrade, die Augen düster und unablässig auf sie gerichtet. – Endlich wandte sie den Kopf. Sie sprach, er sah, wie ihre Lippen sich bewegten; aber er vernahm keine Worte.
»Ich verstehe nicht!« sagte er und schüttelte den Kopf.
Als er zu ihr gehen wollte, war sie schon in den innern Raum zurückgetreten. Im Vorübergehen kam sie dem Rade, neben welchem er stand, so nahe, daß die Zacken fast ihr Haar berührten. Sie sah es nicht, denn sie war noch geblendet von der Abendsonne; aber sie fühlte ihre Hände ergriffen und sich rasch zur Seite gezogen. Als sie aufsah, blickten ihre Augen in die seinen. Sie schwiegen beide; ein plötzliches Vergessen fiel wie ein Schatten über sie. Zu ihren Häuptern tosten die Mühlwerke; von draußen klang das eintönige Rauschen des Wassers, das über die Räder in die Tiefe stürzte. – Allmählich aber begannen die Lippen des jungen Mannes sich zu regen, und unter dem Schutze des betäubenden Schalles, in dem der Laut seiner Stimme wesenlos verschwand, flüsterte er trunkene, betörende Worte. Ihr Ohr vernahm sie nicht, aber sie las ihren Sinn aus der Bewegung seines Mundes, aus der leidenschaftlichen Blässe seines Angesichts. Sie legte den Kopf zurück und schloß die Augen; nur ihr Mund lächelte und gab von ihrem Leben Kunde. So stand sie wie in Scham gebannt, das Antlitz hülflos ihm entgegenhaltend, die Hände wie vergessen in den seinen.
Da plötzlich hörte das Rauschen auf; die Mühle stand, sie hörten über sich den Mühlknappen gehen und draußen von den Rädern fiel das abtropfende Wasser klingend in den Teich. Die Lippen des jungen Mannes verstummten; und als Veronika sich ihm entzog, versuchte er nicht sie zurückzuhalten. Erst als sie aus der Tür ins Freie trat, schien er die Sprache wiedergefunden zu haben. Er rief ihren Namen und streckte die Arme bittend nach ihr aus. Aber sie schüttelte, ohne nach ihm umzusehen, den Kopf und ging langsam durch den Garten nach dem Wohnhause.
Als sie drinnen in die nur angelehnte Tür des Zimmers trat, sah sie gegenüber den alten Müller mit gefalteten Händen in seinem Bette liegen. Oberhalb desselben an der Wand war ein hölzernes Kruzifix befestigt, von dem ein Rosenkranz herabhing. Ein junges Weib, mit einem Kinde auf dem Arm, war eben
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