Werke
draußen in der Welt! Als hätte sie es nicht gewußt; wie eine Botschaft kam es an ihr Herz.
Sie bückte sich nach dem Kinde und kaufte ihm seine Blumen ab; dann, mit dem Strauße in der Hand ging sie die Straße hinunter dem Tore zu. Der Sonnenschein lag so hell auf den Steinen; aus dem offenen Fenster eines Hauses drang der laute Schlag eines Kanarienvogels. – Langsam fortgehend erreichte sie die letzten Häuser. Von hier aus führte seitwärts ein Fußsteig nach dem Höhenzuge, der nach dieser Richtung hin das Stadtgebiet begrenzte. Veronika atmete freier; ihre Augen ruhten auf dem Grün der Saatfelder, die neben dem Wege hinliefen; mitunter regte sich die Luft und brachte den sanften Duft der Schlüsselblumen, die drüben an dem Fuß des Berges standen. Weiter hin, wo an der Grenze der Felder der Nadelwald begann, erhob der Weg sich steiler, und es bedurfte der körperlichen Anstrengung, obgleich Veronika des Bergsteigens von Jugend an gewohnt war. Sie hielt mitunter inne und blickte aus dem Schatten der Fichten in das sonnige Tal hinab, das immer tiefer unter ihr versank.
Als sie die Höhe erreicht hatte, setzte sie sich auf den Boden in den wilden Thymian, der hier den ganzen Berg besponnen hatte; und während sie die würzige Luft des Waldes atmete, schweifte ihr Blick nach dem blauen Gebirg hinüber, das wie ein Duft am Horizonte lag. Hinter ihr in kleinen Pausen fuhr der Frühlingswind durch die Wipfel der Tannen, dann und wann schallte ein Amselschlag aus der Tiefe des Waldes oder über ihr aus der Luft herab der Schrei eines Raubvogels, der unsichtbar in dem unermeßnen Raume schwebte. – Veronika nahm ihren Hut ab und stützte den Kopf in ihre Hand.
So in Einsamkeit und Stille verging eine Spanne Zeit. Nichts nahte sich als nur die reinen Lüfte, die ihre Stirn berührten, und der Ruf der Kreaturen, der aus der Ferne an ihr Ohr schlug. – Zuweilen flog ein helles Rot über ihre Wangen, und ihre Augen wurden groß und glänzend.
Nun klangen Glockentöne von der Stadt herauf. Sie hob den Kopf und horchte. Es läutete schrill und hastig. »Requiescat!« sprach sie leise; denn sie hatte die kleine Glocke vom Lambertusturm erkannt, die es über die Gemeinde ausrief, daß unter eines ihrer Dächer der finstere Bote des Herrn getreten sei.
Am Fuße des Berges lag der Kirchhof. – Sie sah das Steinkreuz auf dem Grabe ihres Vaters ragen, der vor Jahresfrist unter den Gebeten des Priesters in ihren Armen entschlafen war. Und weiter hin, dort wo das Wasser glitzerte, war jenes wüste Fleckchen Erde, das sie als Kind so oft mit scheuer Neugierde betreten hatte, wo nach dem Gebot der Kirche neben denen, die sich selbst den Tod gegeben hatten, auch die begraben wurden, welche nicht gekommen waren, das Sakrament des Altars zu empfangen. – Dort war auch ihre Stätte jetzt; denn die Zeit der österlichen Beichte war zu Ende.
Ein schmerzlicher Zug stahl sich um ihren Mund, aber er verschwand wieder. Sie richtete sich auf; ein Entschluß stand fest und klar in ihrer Seele.
Noch eine Weile blickte sie auf die Stadt hinab, und ließ ihre Augen wie suchend über die sonnbeschienenen Dächer wandern. Dann wandte sie sich, und ging durch die Tannen, wie sie gekommen, den Berg hinab. Bald war sie wieder unten zwischen dem Grün der Saatfelder. Sie schien zu eilen; aber sie ging aufrecht und mit festen Schritten.
So erreichte sie ihr Haus. – Von der Magd erfuhr sie, daß ihr Mann in seinem Zimmer sei. Als sie die Tür geöffnet und ihn so ruhig an seinem Schreibtische sitzen sah, blieb sie zögernd auf der Schwelle stehen. »Franz!« rief sie leise.
Er legte die Feder hin. »Du, Vroni?« sagte er sich zu ihr wendend. »Du kommst ja spät! War das Register denn so lang?«
»Scherze nicht!« sagte sie bittend, indem sie zu ihm trat und seine Hand ergriff. »Ich habe nicht gebeichtet.«
Er blickte verwundert zu ihr auf; sie aber kniete vor ihm nieder und drückte ihren Mund auf seine Hand. »Franz«, sagte sie, »ich habe dich gekränkt!«
»Mich, Veronika?« fragte er und nahm ihre Wangen sanft zwischen seine Hände.
Sie nickte und sah mit dem Ausdruck der tiefsten Bekümmernis zu ihm auf.
»Und jetzt bist du gekommen, deinem Mann zu beichten?«
»Nein, Franz«, erwiderte sie, »nicht beichten; aber vertrauen will ich dir – dir allein; und du – hilf mir, und, wenn du es vermagst, verzeihe mir!«
Eine Weile sah er sie mit seinen ernsten Augen an; dann hob er sie mit beiden Armen auf und legte sie an
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