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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Campinghocker gehüllt in Abgasschwaden verbringst, um Zitronen vom Schwarzen Meer zu verkaufen – letztlich ist alles nur eine schmale Brücke, die über einen reißenden Fluss führt.
     
    Guga Gelaschwili legte das Notizbuch weg und goss sich einen Kognak ein. Die Frau war ja völlig durchgeknallt. Nur eine Frau konnte so einen Blödsinn verzapfen. Er trank den Kognak in einem Schluck aus. Das Lesen in der fremden Sprache ermüdete ihn. In Deutsch war er mal sehr gut gewesen, immerhin hatte er einen deutschen Kindergarten besucht. Seine Mutter hatte darauf bestanden. Die Deutschen können was, hatte sie behauptet, die schaffen es sogar, aus einem Hänfling wie dir einen Menschen zu machen! Guga grinste schief. Er war das siebte Kind gewesen und hatte seine Mutter emotional völlig überfordert. Sie hatte ihr Desinteresse an ihm nicht einmal zu verbergen versucht. Aber was spielte das heute noch für eine Rolle? Er war Polizist geworden, und er würde sich weiter hocharbeiten. Ab und zu hatte er auch nichts dagegen, wenn er eine ruhige Kugel schieben durfte. Das Leben war anstrengend genug.
    Er ging zu Bett, löschte die Öllampe, der Strom war seit Tagen abgestellt, keiner wusste, warum, und rollte sich wie eine Schlange unter seiner Decke zusammen. Wie kam das Tagebuch unter den Brombeerbusch? Hatte die Frau, der es gehörte, in dem Unfallwagen gesessen? War sie gefahren? Und wovor war die Frau davongelaufen?
    Guga hatte etliche Tote gesehen. Vor allem Verkehrstote. Sein Revier war die M 5 von Sagaredscho nach Sighnaghi. Ab und zu hatte er mit aserbaidschanischen Autoschmugglern zu tun, die mit der Konkurrenz nicht zimperlich umgingen, und einmal war er in ein Feuergefecht geraten.
    Schlimmer als Tote waren Verwundete. Leute, die sich in den Wald schleppten und an ihren Verletzungen starben. Die man erst Monate später entdeckte. Die stinkenden, verwesten Leichen verfolgten Guga oft monatelang in seinen Träumen.
    Es könnte um Drogen gehen. Wenn nur endlich der Spezialhund das havarierte Fahrzeug absuchen könnte! Das würde die Sache weiter eingrenzen. Guga ahnte, was aus diesem Fall werden würde: In spätestens einer Woche gab es neue Unfälle, wahrscheinlich sogar Tote, wenn das Wetter sich nicht besserte. Tote konnten vom Unfallort nicht weglaufen. Solche Fälle sind einfacher zu klären, würde sein Vorgesetzter ihm sagen. Das Opelwrack, über das er sich jetzt den Kopf zerbrach, würde in der Schrottpresse landen, nachdem findige Typen das letzte nützliche Material herausgerissen hatten. So standen die Dinge.
    Guga überlegte, ob er es schaffen könnte, in der Hauptstadt bei der Kriminalpolizei zu arbeiten. Er würde Leute einladen und bewirten müssen, damit er sein Anliegen im richtigen Rahmen vorbringen konnte. Dazu brauchte er eine Frau. Die Alte heute hatte recht gehabt. Er brauchte dringend eine Frau.

8
    Irgendwie hatten wir uns durchgefragt. Nachdem ich alle Dolmetscher auf Lynns Liste abtelefoniert hatte, war klar, dass wir mit deren Diensten nicht rechnen konnten: Sie waren alle ausgebucht. Juliane hatte schließlich die glorreiche Idee, eine fähige Studentin einer der Tbilisser Universitäten als Dolmetscherin anzuheuern. Kurzerhand hielt sie ein Taxi an. Wie sie da am Rand der völlig überfüllten Avenue stand und die Hand ausstreckte, mit ihrem roten Häkelmützchen und den blitzenden Kreolen, sah sie aus, als sei sie von einem glitzernden Planeten gefallen. Wir gerieten an einen Taxifahrer, der gut Deutsch sprach, weil sein Vater in zweiter Ehe mit einer Freiburgerin verheiratet war. Er fuhr uns in die Ilia-Tschawtschawadse-Avenue und hielt vor einem weißen Gebäude, das etwas zurückgesetzt hinter Bäumen und parkenden Autos stand. Auf den Stufen saß eine alte Frau und verkaufte Sonnenblumenkerne.
    »Hier, das ist das fünfte Gebäude der Staatsuniversität. Die Germanistik finden Sie im ersten Stock.«
    »Danke.« Juliane zahlte vier Lari und wir schälten uns aus dem Opel. Mit einem Mal schlug das Fremdheitsgefühl wieder zu. Ein Strudel aus Panik und Schwärze packte mich. Mir kam das uralte Wissen abhanden, wie man überlebt. Rasch presste ich meine Schultertasche an mich und verschränkte die Arme darüber. Man konnte nie wissen.
    Wir liefen an der Alten mit den Sonnenblumenkernen vorbei, die uns zahnlos zulächelte. Sie hockte vornübergebeugt auf einem alten Karton, der aussah, als würde er in den nächsten Sekunden zerbröseln.
    Zwei Sicherheitstypen bewachten die

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