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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Eingangstür. In der Halle begrüßten uns ein Flachbildschirm und eine Pinnwand mit einem Plakat, das für das Studium der französischen Sprache warb. Eine breite Treppe führte in den ersten Stock.
    »Alles kalte Pracht«, sagte Juliane.
    Ich nickte. Dieses Gebäude, in dem es nach Kalk und Urin roch, nach Staub und nach vielen Menschen, hatte bessere Zeiten gesehen. Große Zeiten, in denen hier alles in Ordnung gewesen war. Aber dann war dieses kleine Land in den frühen 90ern aus der Sowjetunion ausgeschert, durch einen Bürgerkrieg geschlittert, war dem Boden gleichgemacht worden, hatte sich mühsam aus dem Morast gekämpft, war gegen Energieknappheit und Korruption ins Feld gezogen, wieder in einen Krieg gerutscht, warum auch immer, und hatte mittlerweile nur noch die Grandezza von einst zu bieten.
    »Man muss mit den kleinen Schritten zufrieden sein«, erläuterte Juliane, während sie die Treppe hinaufschritt. Als hätte sie meine Gedanken gelesen.
    Vor einem Vorlesungsraum fragten wir ein paar Studenten nach dem Lehrstuhl für Germanistik. Sie führten uns über einen ausgetretenen Parkettboden, in dem das eine oder andere Stück fehlte. ›Deutsche Philologie‹ stand auf Deutsch und Georgisch an einer Tür. Wir klopften. Als niemand antwortete, drückte Juliane die Klinke herunter und trat ein.
    An einem niedrigen Schreibtisch, der in die Ecke gequetscht neben der Tür stand, saß ein Mädchen mit langen, schwarzen Locken und tippte konzentriert auf einer Tastatur.
    »Tag«, sagte Juliane lapidar.
    Ich stand wie ein tumbes Kamel hinter ihr und kriegte den Mund nicht auf.
    »Entschuldigen Sie, dass wir hier einfach so reinplatzen. Wir suchen eine Dolmetscherin.«
    Endlich hob das Mädchen den Kopf. Sie hatte hohe Wangenknochen und eine Haut, die aussah, als wäre sie mit Gold bestäubt worden. Ihre schwarzen Augen blitzten fröhlich.
    Ich sah mich in dem Raum um. Regale säumten die Wände, in denen ein deutsches Buch neben dem anderen stand. Ich erkannte die bunten Duden-Bände, die ich auch besaß, ein großes Fremdwörterbuch und die altbekannten Buchrücken der wichtigsten Grammatiken. Hinter dem Mädchen hing eine riesige Deutschlandkarte, gegenüber, direkt zwischen zwei hohen, komplett vergitterten Fenstern, wackelte eine Leinwand auf einem viel zu schmalen Ständer. Davor ein runder Konferenztisch, ein Sofa, auf dem es sich ein Beamer und ein Laptop bequem gemacht hatten.
    »Kein Problem.«
    »Wir wissen noch nicht, für wie lange.« Juliane stieß mir ihren knochigen Ellenbogen in die Rippen. »Steuerst du jetzt auch mal was bei?«, zischte sie.
    »Ich bin Reisejournalistin und schreibe eine Reportage über Georgien«, fasste ich zusammen. »Da unsere Reise ziemlich spontan zustande gekommen ist, haben wir bisher …«
    »Wie gesagt, kein Problem.« Die Tür ging auf und eine Gruppe schnatternder Studentinnen ergoss sich in den Raum. Sie musterten uns neugierig, setzten sich an den Tisch und begannen, Handys, Notizbücher und Stifte auszupacken.
    Die Schwarzlockige wurde nervös. »Hier findet jetzt eine Unterrichtsstunde statt. Geben Sie mir Ihre Telefonnummer. Ich rufe Sie an.«
    Ich schrieb meine Handynummer auf einen Zettel und die Anschrift unseres Hotels. »Es wäre wirklich dringend.«
    »Kein Problem«, sagte das Mädchen zum dritten Mal, fuhr den Rechner herunter und nickte uns zu. »Ich melde mich.«

9
    Gute zwei Stunden später trafen wir Sopo am Eingang der U-Bahn-Station Rustaweli-Avenue wieder. So hieß das Mädchen, dessen Teint ich bewundert hatte. Sofia. Abgekürzt Sopo.
    »Ich arbeite als Tutorin am Lehrstuhl«, erklärte sie und strich selbstbewusst die langen Locken aus ihrer Stirn. »Deswegen durfte ich den Unterricht nicht verpassen.«
    »Klar«, nickte ich und stand da wie ein Albatros auf einer Radrennbahn. Meine Weltgewandtheit, meine Fähigkeit, mit kuriosen Situationen umzugehen, war wie weggepustet. Dieses eigenartige Land zwischen Europa und Asien machte etwas mit mir. Es wühlte mein Unterstes zuoberst.
    Wie das geschah, verstand ich selbst nicht. Ich sah nur Unmengen von Menschen, die meisten dunkelhaarig dunkeläugig, schwarz gekleidet. Lärm. Enge. Ein Gefühl, als wenn die Erde heiß atmete. Selbst durch den Asphalt.
    Wenigstens hatte ich Juliane dabei. Sie verwickelte Sopo in ein Gespräch, während ich auf das Gewusel um mich starrte, als hätte man mich nicht 4.000, sondern 400.000 Kilometer von München entfernt in der Milchstraße geparkt.
    »Meine Freundin

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