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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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schreibt eine Reportage über Georgien«, erläuterte Juliane gerade. »Wir brauchen eine Dolmetscherin, die uns, sagen wir, für zwei oder knapp drei Wochen begleitet.«
    Sopo nickte. »Das lässt sich einrichten. Ab morgen kann ich mich freimachen. Geht das in Ordnung?«
    »Na, was ist!« Juliane stieß mich an.
    »Ab morgen ist wunderbar«, antwortete ich überschwänglich. Ich meinte, in Sopos Gesicht etwas Erstauntes, Fragendes zu lesen. Wahrscheinlich hielt sie die Ausländerin vor sich für völlig abgespaced. Ich musste grauenvoll aussehen, von Übermüdung, Kulturschock und Jetlag gepeinigt. »Vielleicht könnten Sie heute schon etwas für uns tun. Es dauert nicht lang!«
    Sopo hob entspannt die Achseln. Sie trug ein enges, schwarzes Top, einen ebenso engen Jeansrock und hochhackige Schuhe mit Korksohle, auf denen sie permanent das Gleichgewicht zu halten suchte.
    »Meine Kollegin Mira Berglund«, fing ich an und suchte in dem Krach des Straßenverkehrs, dem Rattern der in die Tiefe rasenden Rolltreppen und dem Gewimmel der vielen Menschen die Konzentration zu wahren, »ist aus ihrem Auftrag, sagen wir mal, ausgeschert. Sie hat mir leider keine Kontaktadressen oder Notizen hinterlassen, an denen ich mich orientieren könnte. Nur diese Telefonnummer von einer gewissen Tamara.« Ich kramte den Zettel aus meiner Hosentasche. Ich trug Jeans, rote Chucks und ein weißes T-Shirt. Mein Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. In Deutschland hätte ich mich optimal ausgestattet gefühlt. In Georgien kam ich mir vor, als hätte ich die vergangenen drei Jahre in der Mülltonne gelebt. »Würden Sie dort anrufen und nachfragen, wer diese Tamara ist? Eventuell könnte Tamara uns auch sagen, wo Mira abgeblieben ist.« Ich fühlte Julianes scharfen Blick auf mir. Hoffentlich konnte ich ihr beweisen, dass ich ganz die Alte war. Nicht ausgetickt, kein Psychowrack. Verdammt, solche Situationen hatte ich viele Jahre lang durchgemacht. Ich hatte die argentinische Pampa durchquert und eine Reportage über Umweltschutz in Singapur geschrieben. Ich war kein dummes kleines Mädchen, das vom nächstbesten Windhauch der weiten Welt umgeweht wurde. Ich reichte Sopo mein Handy, und sie wählte die Nummer. Es entbrannte ein angeregtes Gespräch von ungefähr zehn Minuten.
    »Also«, Sopo gab mir mein Telefon zurück, »Tamara kennt keine Mira Berglund. Sie hat überhaupt nichts mit einer Reisejournalistin zu tun. Allerdings erwartete sie in der vergangenen Woche den Besuch ihrer Freundin, einer deutschen Opernsängerin. Sie wollte Tamara in Sighnaghi besuchen.«
    »Aber?«, hakte Juliane nach. »Wo ist das Problem?«
    »Die Freundin kam nicht. Sie hat auch kein Handy. Clara Cleveland heißt sie.«
    »Wie bitte?«, stieß ich hervor. Juliane und ich sahen uns an. »Sollte diese Clara wie auch immer nicht heute Abend in der Oper auftreten?«
    »In der Oper bestimmt nicht«, sagte Sopo. »Die wird gerade renoviert. Das Konzert, von dem Sie sprechen, müsste im Konservatorium stattfinden.«
    »Fragen Sie nach«, bat Juliane und reichte ihr ihren Flyer.
    Sopo wählte wieder eine Nummer, sprach kurz und legte dann auf. »Das Konzert fällt aus, weil Clara Cleveland nicht auffindbar ist. Wenn Sie schon ein Ticket haben, bekommen Sie den Eintrittspreis zurück.«
    »Nicht nötig«, sagte ich langsam und steckte das Handy in meine Hosentasche. »Danke.«

10
    Der Krieg hatte alles geändert. Kasbegi war nicht direkt betroffen gewesen; dennoch weckte die unmittelbare Nähe zu Russland Ängste. Medea hatte sich angewöhnt, einen inneren Dialog nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Ereignissen zu führen. Sie redete ein Ereignis, das sie sehr beschäftigte, einfach an – und bekam Antwort. Natürlich hörte sie keine Stimmen. So rational war sie eingestellt. Aber sie wusste auch, dass Intuition und Vorstellungskraft die eigentlichen Landkarten des Lebens waren. Allein mit der Vernunft kam man nicht weit. Sie half auf keinen Fall, plötzliche Krankheiten, den Verlust eines Kindes, einen Krieg oder ein Erdbeben zu bestehen. In solchen Katastrophenzeiten musste schnell entschieden werden. Medea hatte im Sommer vor zwei Jahren ihren dritten Krieg durchgemacht, denn den Putsch von 1992 bezeichnete sie als Krieg. Sie hatte eine Tochter verloren. Und die Kleine, ihr größtes Glück. Als sie in Gomi gelebt hatte, war ihr während eines Erdbebens das Haus über dem Kopf zusammengestürzt. Sie hatte fast 48 Stunden unter den Trümmern verbracht,

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