Wernievergibt
wieder ein Konzert angesetzt. Wie Sopo sagte, im Konservatorium. Mit Opernarien aus La Traviata, Norma und Tosca. Dass das Konzert abgesagt ist, hat bisher niemand ins Netz gestellt.«
»Also hatte Clara knapp zwei Wochen Pause. Seltsam. Eine Konzertreise ist eigentlich immer sehr dicht besetzt. Ein Termin jagt den anderen, bis die Sängerinnen ihre Stimme dermaßen überstrapaziert haben, dass nichts mehr geht«, wandte Juliane ein.
»Mag sein, dass das der Grund ist. Schonung der Stimmbänder«, überlegte ich. »Hier: Clara ist bei der Konzertagentur ›Cologne Concertos‹ unter Vertrag. Hauptsitz in Köln, Ableger in München.« Ich klickte herum. »Am 23. April steht ein Opernabend in Baku in Aserbaidschan auf dem Programm.«
»Vielleicht ist die Cleveland früher als geplant nach Baku abgereist.«
»Und hat ein Konzert platzen lassen? Ich würde mal sagen, die Agentur sollte davon wissen, wenn eine Künstlerin nicht zum Auftritt erscheint.« Ich sah auf die Uhr. Es war kurz vor elf. Kurz vor neun in Deutschland. Zu spät, um jemanden anzurufen. Ich speicherte die Nummer von Cologne Concertos in meinem Handy. »Mira ist am 26.3. nach Georgien geflogen. Mit dem Flugzeug aus München um 21.20. Sie kam also am 27.3. morgens hier an. Das war ein Samstag. Meinst du, sie hat das Konzert in der Philharmonie besucht?«
Juliane zuckte die Achseln und bestellte sich ein zweites Bier.
»Sie ist genau eine Woche nach Abflug von der Bildfläche verschwunden.«
»Warum beschäftigen wir uns damit, Kea? Du hast eine Reportage zu schreiben. Stell dir endlich eine Route durch Georgien zusammen. Lass uns ans Schwarze Meer fahren, dort ist es bestimmt traumhaft.«
»Weil eins klar ist: Tamaras Telefonnummer habe ich in Miras Jeans gefunden. Also gibt es eine Verbindung zwischen Mira, Tamara und Clara. Weil Tamara auf Clara wartete, nicht auf Mira.« Ich orderte ebenfalls noch ein Bier, kaute Oliven und dachte nach. Nein, die Sucht der ersten Jahre als Reisejournalistin hatte mich nicht mehr am Wickel. Damals war ich schier panisch vor Aufregung, etwas zu verpassen. Ich arbeitete akribische Reisepläne aus, strukturierte pedantisch die Tage, damit auch nicht eine Minute ungenutzt verstrich. Heute verspürte ich nur den Drang, mich treiben zu lassen. Und etwas über Miras Verbleib herauszufinden. Denn eine Reporterin verschwand nicht einfach so – unsereins hinterließ Spuren.
12
Sopo holte uns am nächsten Morgen um zehn im Hotel ab. Sie wartete in der Lobby, die Beine übereinandergeschlagen, ganz in Schwarz, bis auf eine golddurchwirkte Weste, die sie über ihrem Top trug. Als wir aus dem Frühstücksraum traten, stand sie auf und wankte uns auf ihren hohen Absätzen entgegen.
In der Nacht war mir aufgegangen, dass zwei Frauen fehlten – Clara und Mira. Ob das ein Zufall war? Waren beide womöglich an denselben Ort aufgebrochen, aber nicht angekommen? Wenn ja, was war das für ein Ort? Sighnaghi?
»Sopo, eine Frage«, begann ich. »Sighnaghi – ist das ein Ort, den man gesehen haben muss?«
»Unbedingt!« Sopo schürzte die Lippen. »Sighnaghi liegt mitten im Weinland Kachetien, hoch über der Alasani-Ebene. Es steht auf dem Hang wie ein Schiff, dessen Bug weit über den Ozean ragt. In den letzten Jahren hat man das Städtchen wunderschön hergerichtet und die sowjetischen Altlasten beseitigt.«
»Also lohnt es sich hinzufahren?«, insistierte ich.
»Sicher! Haben Sie einen Fahrer an der Hand oder soll ich das organisieren?« Sie hielt schon ein Handy in der Hand.
»Ich denke, das wird unsere Aufgabe für den heutigen Vormittag«, sagte Juliane. »Ein Reiseprogramm zusammenzustellen.«
Ich hatte Lynns Unterlagen zum x-ten Mal durchgelesen und eine Liste der sehenswertesten Orte zusammengestellt, die ich Sopo nun reichte.
»Höhlenkloster Wardsia«, murmelte sie, »Kasbegi und die Trinitätskirche. Gori – was wollen Sie denn in Gori, um Himmels willen?«
»Stalin wurde dort geboren«, sagte Juliane.
Sopo schnaubte nur. »Höhlenstadt Uplistsiche, na gut. Und Batumi am Schwarzen Meer! Da müssen Sie wirklich unbedingt hin. Ich habe eine Tante dort. Ich kann alles organisieren.«
In diesem Land lebten, so kam es mir vor, die besten Organisatoren der Welt. Jeder kannte irgendwo jemanden, der weiterhelfen konnte. Wir setzten uns in ein Café nicht weit vom Hotel entfernt, und binnen einer Stunde besaßen wir bereits einen zeitlich großzügigen Plan, wann in den folgenden knapp drei Wochen wir welche
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