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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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bullernden Heizung, die sich nicht abstellen ließ. Akaki lehnte sich an das gegenüberliegende Fenster und rauchte schweigend. Seine Hand glitt unter seine Jacke, wo er seinen Revolver verstaut hatte. Nur im Notfall würde er es mit einer Handfeuerwaffe tun. Er hoffte auf andere Möglichkeiten. In Abteil 16 war es still. Frauen schnarchten nicht. Er kannte keinen einzigen Mann, der sich beschwerte, wegen seiner schnarchenden Partnerin nachts nicht schlafen zu können. Er hätte gerne gewusst, warum Frauen nicht schnarchten.
    Er war versucht, einfach hineinzugehen, nur um zuzusehen, wie sie schliefen. Er tat es nicht, weil er kein Risiko eingehen durfte. Dieser Job rettete sein Leben mindestens für sechs Monate.
    Er warf die Kippe aus dem Fenster und fuhr herum, als ihn etwas von hinten streifte.
    Alles Einbildung. Niemand war an ihm vorbeigegangen.
    Langsam machte er sich auf den Weg zurück zu seinem Abteil.

38
    Medea wusste seit Langem, dass das Unglück zu scheitern nichts mit einem selbst zu tun haben musste. Man konnte genauso gut Pech haben oder von einer ungünstigen Sternenkonstellation beeinflusst werden. Wobei Medea in ihrem langen Leben nicht dahintergekommen war, ob der Stand der Planeten wirklich auf den Menschen einwirkte oder nicht. Sie stellte die Kaffeetasse weg.
    »Was ist?«, fragte Keti.
    Keti war alt geworden, fand Medea. Sie nahm ab, war dünn wie wilder Spargel. Je mehr Gewicht sie verlor, desto luftiger wurde ihr Wesen, um abzuheben, wie ein Ballon, und über die Berge davonzufliegen.
    »Wann kommt die letzte Marschrutka aus Tbilissi?«
    »Aus Tbilissi?« Keti glotzte wie ihre Kuh. »Na, es ist schon dunkel. Kann nicht mehr lang dauern. Weshalb?«
    Medea wünschte, Keti würde nach Hause gehen und sie nicht länger am Alleinsein hindern. Da waren zwei Stimmen in ihrem Kopf. Eine dröhnende, protzige, gewaltige. Eine, die Macht über Menschen kannte. Und eine ganz zarte, die in Medeas Ohr viel mehr Raum einnahm. Dennoch gehörten beide irgendwie zusammen.
    »Neulich war eine Frau hier, die kam aus Swanetien«, plauderte Keti drauflos. »Die hat mir aus der Hand gelesen.«
    Und ein dankbares Opfer gefunden, dachte Medea kampfeslustig. Sie machte sich daran, die Ziege zu füttern. Das Tier teilte mit ihr das armselige Häuschen. Es milderte die Einsamkeit.
    Medea wollte nicht an das Glück glauben. Sie hatte nie eine besonders mütterliche Seite besessen. Ihren Töchtern war sie mit Wohlwollen begegnet, das war alles. Zu mehr war sie nicht imstande und fühlte Erleichterung, sobald die beiden aus dem Gröbsten heraus waren. Aber die Kleine war ein neues Gefühl. Ein wirkliches Glück. Eine Verbindung zwischen ihr und dem Kind, die vom Moment seiner Geburt an bestand.
    Sie hatte den Verlust nicht ertragen können. Sie hatte alles versucht, um das Kind bei sich zu behalten. Nicht aus Eifersucht. Nicht aus überkandidelter Liebe heraus, die nichts hergeben, alles für sich haben wollte. Sondern weil sie erkannte, was keiner sonst sah: Dass das Kind an dem neuen Leben zerbrechen würde.
    Man hatte ihre Absichten ganz anders verstanden. Ihr unterstellt, eine Karriere, ein großartiges Talent vernichten zu wollen. Medea hatte etwas anderes gemeint, als sie ihre Kontakte spielen ließ, aber sie hatte es niemandem erklären können. Deshalb glaubten alle, die sie aus ihrem früheren Leben kannten, an Medeas unheilbaren Egoismus.
    Nachdem das Auto mit den beiden davongefahren war, zum Flughafen nach Tbilissi, hatte sie zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben Gott angefleht. Gott im Himmel, wenn du sie mir nicht lassen kannst, dann gib ihr einen Teil meiner Seele, damit sie mich spürt und von meiner Kraft, von meinem Leben nehmen kann, was immer sie will.
    Sie hatte das Kind nie verwöhnt wie die anderen Großmütter ihre Enkel. Sie hatte lediglich die Sehnsucht des Mädchens verstanden und ihr gegeben, was sie am meisten brauchte. Die Liebe eines Menschen, der nicht über sie urteilte, sie weder übermäßigem Lob noch zermürbender Kritik unterzog.
    Medea streichelte die Ziege, während sie Ketis tumben Blick auf sich spürte. Etwas geschieht, dachte sie und sah zu, wie die Ziege hungrig fraß. Sogar Keti spürt es. Also muss da etwas sein. Sie hob den Kopf und lauschte. Sie hörte nichts als das Gurgeln des Terek hinter dem Haus. Es schneite leicht. Der kalte Wind schlich sich ins Zimmer, durch die Ritzen zwischen Fenster und Mauer, über die Türschwelle. Keti zog ihr Schultertuch fester um

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