Wernievergibt
zurück und blinzelte durch die tropisch grün funkelnden Weinranken in den Himmel. Clara fiel in Ungnade, weil sie kein frisches Geld brachte. Die Milchkuh, deren Euter versiegte, verdiente keine Zuneigung, keine Einladungen, keine Aufmerksamkeit mehr.
Lia lehnte sich zu mir: »Verstehen Sie: Wir Musikfreunde in Balnuri, wir stehen auf weiter Flur allein. Wenn Clara ausfällt, kann der Chor einpacken. Wir haben niemanden von ihrem Format, der für uns einstehen würde. So ein Chor ist ein Gewicht, das eine ganze Stadt versinken lassen kann.«
Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Juliane zurückkam. Mit ihrem typischen Pokerface. Es dauerte bestimmt nicht mehr lange, bis sie auf Lia losging. Einfach aus Opposition. Ich würde mit Freuden den Sekundanten geben.
»Und Claras Verwandte? Wie sehen die das alles?«
Lia beugte sich noch weiter über den Tisch. »Sie wissen bestimmt, wie Familie ist. Eifersüchtig. Missgünstig! Mehr nicht! Möchten Sie Kaffee?«
Die Audienz näherte sich dem Ende.
»Gern. Gut, dass der Chor Isolde hat«, stellte ich ins Blaue hinein fest.
Lias Mundwinkel verzogen sich zu etwas, das ich in einem Buch als spöttische Herablassung beschreiben würde. Sie bemühte sich nicht einmal, ihre Süffisanz zu verbergen.
»Ja, nun, Isolde ist eine ganz Fleißige.«
»Fleiß, so sagten Sie vorhin, ist es, was ein Künstler braucht.«
»Fleiß ohne Talent?« Die Bernsteinsprengsel in Lias Eisaugen glühten auf. »Einer emsigen Person wie Isolde verdankt der Chor natürlich viel. Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie ist genau auf dem richtigen Posten. Eine unermüdliche Kämpferin für unsere Kinder. Und für ihren Sohn natürlich. Der Kleine ist musikalisch veranlagt, keine Frage. Er hat das Zeug zum Pianisten; ein neuer Mozart ist er nicht.« Ihr gönnerhaftes Lächeln vertiefte sich.
»Das meint Isolde, oder?«, ließ sich Juliane vernehmen.
»Sie tut alles für ihr Kind. Ab dem September wird Tedo in Tbilissi in einer privaten Schule unterrichtet. Das übliche Programm, Lesen, Schreiben, Rechnen, und dazu viele Stunden am Tag Musik.«
Armer Kerl, dachte ich. Diese Kindheit konnte man abschreiben. Wir tranken unseren Kaffee. Als ich zahlen wollte, stellte Lia sich quer. Das käme nicht infrage. Wir wären ihre Gäste gewesen. Sie fuhr uns zurück ins Zentrum. Für eine Besichtigung der Kathedrale blieb keine Zeit. Wir nahmen das nächste Sammeltaxi. Eine Stunde später waren wir im Hotel und packten unsere Sachen. Um kurz nach neun stand ich an der Rezeption und wartete auf Juliane.
»Wie gefällt es Ihnen in Tbilissi?«, machte Beso Konversation.
»Gut, danke.« Mein Kopf gab keine Wörter mehr her. Das passierte mir ab und zu. Wenn ich in einem Projekt feststeckte, fehlte mir plötzlich die Ausdrucksfähigkeit. Das versackte Denken blockierte meine Sprache. Ich lächelte, um Beso zu signalisieren, dass ich keinesfalls unwirsch sein wollte. »Arbeiten Sie eigentlich rund um die Uhr?«
Er zuckte die Achseln. »Es ist nicht so leicht, zuverlässiges Personal zu bekommen.« Seine Augenbrauen zogen sich zu einem dicken, schwarzen Strich zusammen. »Gestern wurden Sie doch abgeholt«, sagte er. »Von einer Frau. Ich meine, die hätte sich mal bei uns beworben. Für die Verwaltung. Sie kam kurz vor Ostern. Wir hatten das Haus voll und meine Kollegin und ich hatten rund um die Uhr gearbeitet.«
»Isolde?«, rief ich. »Unmöglich.«
»Ja, ich nehme an, ich habe mich getäuscht«, zog Beso sofort zurück.
Juliane rauschte die Treppe hinunter. Tonnenschwer hing ihr bulliger Rucksack über ihrer zarten Schulter. »Wo steckt Sopo? Wieder zu spät?«
»Wir sind am Montag wieder hier«, sagte ich zu Beso.
»Haben Sie gehört?«, rief er uns nach. »Alle westeuropäischen Flughäfen sind geschlossen. Nur rund um das Mittelmeer gibt es noch Flugverkehr. Wegen der Asche aus Island.«
»Was die hier alle mit diesem Vulkan haben«, sagte ich zu Juliane. Draußen war es windig und kühl. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke hoch. Zu Vulkanen hatte ich keine wirkliche Beziehung, und allzu kalte Länder hatte ich auf meinen Reisen stets gemieden.
»Er will damit sagen, dass es ein Problem geben könnte, hier wegzukommen«, erwiderte Juliane. »Weil nämlich kein Flieger mehr nach Westen geht. In Istanbul ist Schluss.«
36
Der Zug ratterte gemächlich über die Schienen, als wolle er jede Unregelmäßigkeit der Gleise nutzen, um uns so richtig durchzuschütteln. Mit Sopo zusammen hatten wir ein
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