Wernievergibt
Kilometer weit weg ist, als niemanden.«
Juliane sah mich zärtlich an, bevor sie die Flasche an die Lippen setzte. »Pfui Teufel, das Zeug ist ja schlimmer als das Bordschomi-Schwefelwasser.«
Ich grinste. »Isolde lebt ihre Karriere in ihrem Sohn aus.«
»In einem Kind! Der Knabe ist fast noch ein Baby.«
»Und für ihn braucht sie Geld. Für seine Ausbildung. So eine private Grundschule mit Schwerpunkt in der Musik ist sicher nicht billig.«
»Die Kohle ist gut angelegt.« Juliane schraubte die Flasche zu und warf sie mir direkt in die Arme. »Nur, woher hat sie sie? Sie leitet den Chor ehrenamtlich, der Mann ist arbeitslos. Hartz IV kennt man hier nicht, es gibt keine Sozialleistungen. Selbst wenn sie zusätzlich private Musikstunden gibt – essen muss die Familie auch mal.«
»Du meinst«, begann ich langsam, »sie hat Geld für sich abgezweigt?«
»Nicht für sich persönlich. Für ihre privaten Zwecke. Speziell für die musikalische Früherziehung ihres Sohnes.«
»Und Clara ist dahintergekommen; es gab Knatsch«, fantasierte ich drauflos.
»Ich glaube nicht einmal, dass Clara dahintergekommen ist. Im Gegenteil: Die Diva grämt sich mit dem Gedanken, warum die Musikfreunde in ihrer Heimatstadt sie nicht mehr lieben. Und niemand schenkt ihr reinen Wein ein.«
»Als Star wirst du schnell geliebt. Wehe, du fällst in Ungnade. Dann ist es aus mit der Freundschaft, die keine war.«
Juliane streckte sich auf ihrem Bett aus. »Lass uns davon träumen. Den Dichtern kommen die besten Ideen im Traum.«
Auch ich kroch unter meine Decke, löschte die Leselampe und sackte dem Schlaf entgegen.
»Was hältst du von der Geschichte mit Claras Großmutter?«, fragte ich in die Dunkelheit des Abteils hinein. Das Gezänk draußen war abgeflaut; nur Sopos Stimme zwitscherte im vertrauten Rhythmus ins Handy.
»Das«, antwortete Juliane, »ist das interessanteste Kapitel an diesem großen Roman, den das Leben schrieb.«
37
In einem überheizten Abteil zwei Wagen weiter lag ein Mann auf seiner Bettstatt und versuchte, das Schnarchen der drei anderen Passagiere zu ignorieren.
Dieser Job war das Beste, was ihm seit Langem passiert war. Es hatte keine Bedeutung, ob er den Auftrag besaß, jemanden umzubringen. Er kam von seiner der Teilnahmslosigkeit verfallenen Frau weg, vom Gezänk seiner Geliebten, deren Bauch an ihrem schmalen Körper hing wie ein Fesselballon, und von diesem Tölpel von einem Sohn, dessen hervortretende Augen ihn stundenlang unentwegt ansehen konnten. Als sprächen sie ihn schuldig für das erlittene Unglück. Sein älterer Sohn suchte sich selbst Arbeit. Er wusste von dem Bastard. Er würde von dem Geld, das er verdiente, der Familie etwas abgeben. Niemand hatte eine Ahnung, womit er Geld machen wollte, und niemand interessierte sich dafür.
Somit war das Schlimmste abgewendet. Bis zum Herbst würden sie durchhalten. Wenn das Kind geboren war, würde er seiner Geliebten die Hälfte des Blutgeldes geben. Damit wäre die Sache für ihn erledigt, sollte sie mit ihrem Kind hin, wo sie wollte, solange sie ihn in Ruhe ließ.
Der Zug kroch langsam über ein paar Weichen. Alles schepperte und klapperte, es roch nach Eisen und nach Schweiß und einer der Männer im Abteil schrie auf und warf sich auf seiner Pritsche hin und her.
Akaki stöhnte. Er richtete sich auf und hockte gebückt da, um sich den Kopf nicht an der Bettstatt des Fahrgastes über ihm zu stoßen.
Die jüngere Frau würde kein Problem sein. Er schätzte sie als naive, dumme Westeuropäerin ein. Wenn sie weniger rund wäre, könnte er sich sogar vorstellen, mit ihr etwas anzufangen, nur zum Schein. Doch er stand auf schlanke Frauen.
Die Alte allerdings, mit der musste er vorsichtig sein. Die hatte so eine Art an sich … die ließ sich nichts vormachen. Er stand auf und trat auf den Gang. Hier draußen war die Temperatur erträglicher. Langsam ging er zum Ende des Zuges, durchquerte den nächsten Wagen, eine Zigarette im Mundwinkel, sah andere Passagiere, die in den stickigen Abteilen nicht schlafen konnten. Manche stierten dumpf aus dem Fenster, andere tranken aus Flaschen, die sie in Plastiktüten gesteckt hatten, und einer hockte auf dem Boden, ein Schachbrett vor sich aufgebaut, und spielte gegen sich selbst.
Akaki wusste die Abteilnummer. Natürlich würde er es nicht hier im Zug tun. Er würde warten, bis die beiden sich in Batumi herumtrieben. Er würde etwas arrangieren.
Abteil 16. Die Tür war angelehnt, wegen der
Weitere Kostenlose Bücher