Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
Vom Netzwerk:
beide seitlich am Gitter und es dauerte nicht lange, bis sich unsere Hände zwischen den Stäben fanden und unsere Finger sich ineinander verschränkten. Für Cale musste es wegen der Handschellen ziemlich unbequem sein, trotzdem machte er keine Anstalten, seine Hand wegzuziehen oder sich anders hinzusetzen. Wir genossen die größtmögliche Nähe, die die Gitterstäbe uns gewährten.
    »M orgen früh werde ich dir zeigen, wie du das Haus vor den Schatten schützen kannst«, sagte er. »E s gibt Runen, die das vermögen. Ich werde sie dir aufzeichnen. Du musst sie an allen vier Ecken, unter den Fenstern und auf der Tür anbringen, dann können sie nicht mehr herein. Drizzle wird dir helfen.«
    Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander. Sein Haar kitzelte mich durch das Gitter an der Wange und sein Daumen strich unablässig über meinen Handrücken. Ich hätte ewig so sitzen können.
    »E s tut mir leid, dass du eingesperrt bist.«
    »I ch weiß.« Er richtete sich ein wenig auf, ohne sich dabei von mir zu entfernen. »D as ist nicht meine Welt. Ich könnte ohnehin nicht hierbleiben. Auch wenn ich es gerne möchte.«
    »D u hast gesagt, dass es einen Grund dafür gibt, warum du trotz aller Hindernisse meinen Geist erreichen kannst. Drizzle sagt, dass du anders bist als andere Geistwandler. Wie meint er das?«
    Cale lächelte. »D er Kobold ist ziemlich clever.« Er drehte sich ein Stück zu mir herum, sodass er mir in die Augen sehen konnte. »D u warst immer etwas Besonderes für mich, Serena. Schon damals, als du noch ein kleines Mädchen warst, hast du mich bezaubert, und dazu hat ein einziger Moment ausgereicht. Dein Dad hat dich damals mit zum Tor genommen– vermutlich kannst du dich nicht mehr daran erinnern. Aber ich weiß es noch ganz genau. Das Tor war offen, und ich nutzte die Gelegenheit, um auf die andere Seite zu spähen. Da sah ich dich und ich wusste… ich wusste, dass ich mehr wollte, als nur in deinen Geist zu gelangen. Ich wünschte mir, dass du in der Lage wärst, mir zu antworten, dich mit mir zu unterhalten.«
    »G eht das denn sonst nicht?«
    »U nsere Fähigkeiten sind darauf ausgelegt, Gedanken und Gefühle aufzufangen und zu beeinflussen, ohne dass die Person, in deren Geist wir eindringen, unsere Anwesenheit überhaupt bemerkt. Also ist sie auch nicht in der Lage, auf uns zu reagieren.«
    Ich hätte also nicht einmal bemerkt, dass er da war. All die Unterhaltungen, die Geschichten, die wir uns gegenseitig erzählt, und der Spaß, den wir gehabt hatten, hätte niemals stattgefunden, wenn… ja, was? »W as hast du dagegen getan?«
    »I ch bin eine Verbindung mit dir eingegangen. Mein Geist ist auf deinen geprägt wie zwei Puzzleteile, die zueinander gehören.«
    »D as ist noch nicht alles, oder?«
    »N achdem du herausgefunden hast, dass ich ein Dämon bin, als du so wütend auf mich warst, habe ich dir gesagt, dass ich Blickkontakt brauche, um jemanden zu beeinflussen.«
    Er machte eine Pause. Ich wusste, dass er mir etwas verschwiegen hatte. Ich hatte es gespürt. »D u brauchst ihn gar nicht?«
    »G eistwandler brauchen diesen Blickkontakt, um etwas bewirken zu können, aber ich könnte selbst dann niemandem mehr meinen Willen aufzwingen, wenn ich ihm so nah wäre, dass ich seine Nasenspitze berühre und ihm dabei in die Augen starre.«
    »W as willst du damit sagen?«
    »D ass diese Art von Verbindung, die ich mit dir eingegangen bin, ihren Preis hat. Ich kann nicht mehr in die Gedanken eines anderen eindringen oder seine Gefühle erspüren und ihn dann beeinflussen.«
    Mir klappte der Kiefer herunter. »D u hast einen Teil deiner Fähigkeiten aufgegeben, um mit mir sprechen zu können?«
    »I ch habe in vollem Bewusstsein auf diese Fähigkeiten verzichtet und im Gegenzug die Möglichkeit bekommen, eine Verbindung mit dir einzugehen, die tiefer geht als alles andere.«
    »I ch war fünf Jahre alt und du… wie alt? Acht?«
    »F ür uns Dämonen ist die Zeit im Jenseits anderen Regeln unterworfen. Unsere Kindheit und Jugend zieht sich über ein Jahrhundert hin und–«
    »W ahrscheinlich sollte ich das jetzt nicht fragen, aber wie alt bist du?«
    »S echsundachtzig– in euren Menschenjahren entspricht das wohl etwa siebzehn oder achtzehn Jahren. Auch wenn ich in den Augen meiner Sippe noch immer ein Junge gewesen sein mochte, verfügte ich damals über ausreichend Lebenserfahrung, um diese Entscheidung bewusst zu treffen.«
    »D u hast deinen Geist also an meinen gebunden, weil du

Weitere Kostenlose Bücher