Wesen der Nacht
entspannte mich ein bisschen, blieb aber auf der Hut. »U nd jetzt hätte ich gerne ein paar Antworten.«
»I ch bin Derek. Derek Hathaway.«
»D erek? Ist nicht wahr!«
Derek war früher Tricks bester Freund gewesen. Wahrscheinlich war er es immer noch. Die beiden waren ungefähr im selben Alter und hatten damals beinahe rund um die Uhr zusammengesteckt. Wenn Cale nicht da war, hatte ich den ganzen Tag damit verbracht, Trick und ihm hinterherzulaufen. Nur, dass Derek ein schlaksiger, viel zu dürrer Junge mit einer dicken Hornbrille gewesen war. Der Typ, der jetzt vor mir stand, hatte nicht mehr viel Ähnlichkeit mit dem Kind von damals. Er war groß und unter seinem eng anliegenden Shirt zeichneten sich ein paar verdammt deutliche Muskeln ab, nicht nur an Bauch, den Armen oder Brust, sondern überall. Sein braunes Haar war kurz, die dunklen Augen sprühten vor Charme und Humor und die dichten Augenbrauen darüber wölbten sich amüsiert, während er meine Musterung über sich ergehen ließ. Die Brille von damals war ebenso verschwunden wie die Zahnlücken, die seine Milchzähne hinterlassen hatten. Ich konnte mich noch erinnern, wie er gelispelt hatte, weil seine Zunge immer in den Lücken hängen geblieben war. Jetzt war davon nichts mehr zu merken. Der Derek Hathaway von heute hatte mehr Ähnlichkeit mit einem griechischen Gott als mit dem Jungen von einst. Er war… heiß. Daran konnten auch die hellen Narben nichts ändern, die den Rücken seiner linken Hand überzogen.
»W ie kommt es, dass du mich gleich erkannt hast? Ich hatte keine Ahnung, wer du bist.« Sag mir bitte nicht, dass ich noch genauso aussehe wie damals!
»F otos«, sagte er schlicht und deutete vage in die Richtung von Dads Arbeitszimmer, wo mein Leben in Bildern auf dem Kaminsims stand.
»W as machst du hier?«
»I ch hab Trick eine Weile nicht gesehen und wollte Hallo sagen.«
»B ist du…« Ich brach ab, weil mir bewusst wurde, dass ich ihn nicht einfach so auf das Jenseits ansprechen konnte. Er würde mich glatt für verrückt erklären. »H abt ihr… also…«
»I ch bin kein Wächter, wenn du das meinst, aber ich weiß Bescheid.«
Erleichtert, nicht länger um den heißen Brei herumreden zu müssen, stieß ich die Luft aus. »G ott sei Dank.«
»D ann kannst du jetzt vielleicht auch deine Waffe wieder ablegen?«
Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde, und wusste, dass ich rot anlief. Schnell ließ ich den Schuh fallen und wechselte das Thema. »W eißt du, wo sie sind?«
»W ill und Trick? Sind sie nicht da?«
»D eshalb bin ich hier.« Ich tischte ihm eine knappe Version einer Geschichte auf, in der Cale keine Rolle spielte und ich nur gekommen war, um zu sehen, wo Dad und Trick steckten, weil ich sie seit beinahe zwei Wochen nicht mehr erreichen konnte. »I ch mache mir Sorgen.«
»W ir werden sie finden«, sagte er entschlossen. »I ch helfe dir.«
Mein erster Impuls war, ihn abzuwimmeln, dann aber wurde mir bewusst, dass er womöglich die beste Hilfe war, die ich kriegen konnte. Jemand, der über das Jenseits Bescheid wusste, hatte vermutlich auch eine klare Vorstellung, wonach er suchen musste. »I ch wollte mich gerade in Dads Arbeitszimmer umsehen.«
»O kay.« Derek machte kehrt und marschierte schnurstracks durch den Windfang ins Wohnzimmer und weiter ins Arbeitszimmer, als wäre er schon hundert Mal dort gewesen. Was wohl auch der Fall war. Ich wollte ihn gerade fragen, woher er vom Jenseits wusste, doch Derek ergriff als Erster das Wort.
»H ast du dir seinen PC schon angesehen?«
Ich schüttelte den Kopf. »I ch brauche erst das Passwort.«
Derek ging zum Schreibtisch, ließ sich in Dads Stuhl fallen und blickte einen Moment lang nachdenklich auf den blinkenden Cursor, ehe er seine Finger über die Tastatur fliegen ließ. Er hatte kaum die Entertaste gedrückt, da veränderte sich auch schon die Maske. Halb erwartete ich, dass etwas wie Passwort falsch – bitte wiederholen auf dem Bildschirm erschien, doch stattdessen öffnete sich die Desktopoberfläche.
»W ie hast du das geschafft?«
Er deutete auf die Fotos auf dem Kaminsims, die von seinem Platz aus deutlich zu sehen waren. »N icht allzu schwer, wenn man es direkt vor der Nase hat. Du wärst sicher auch ziemlich schnell darauf gekommen, dass es dein Name ist.«
Wäre ich nicht, zumindest nicht so schnell. Ich hätte wohl eher auf Moms Namen getippt. Aber das brauchte Derek nicht zu wissen, also sagte ich nichts. Stattdessen stellte ich mich
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