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Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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die in mir aufsteigende Panik nieder. Das hatte noch lange nichts zu bedeuten! Sie waren auf einer ihrer Touren, davon war auch Gus überzeugt gewesen.
    Cale aber nicht, schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte seine Besorgnis gespürt, als ich ihn an meinen Gedanken über Dad hatte teilhaben lassen. Abgesehen davon mochte das hier zwar ein Männerhaushalt sein, aber ich konnte mir trotzdem nicht vorstellen, dass Dad nicht zumindest das Geschirr abspülen würde, bevor er auf eine längere Tour ging. Ich warf einen Blick in die Speisekammer, den winzigen Raum gleich neben dem Kamin, gerade groß genug, dass ich einen Schritt hineinmachen konnte. Auf der linken Seite ein paar Besen, rechts über dem Lichtschalter nur eine Taschenlampe auf dem einzelnen Regalbrett und in dem hohen Standregal vor mir ein paar Konserven. Eine Packung verschimmeltes Toastbrot bestärkte meine Vermutung, dass das unmöglich ein geplanter Routinetrip gewesen sein konnte. Etwas Überraschendes musste passiert sein. Etwas, das ihnen keine Zeit für Vorbereitungen gelassen und sie zum sofortigen Aufbruch gezwungen hatte.
    »D as muss ja noch lange keine Katastrophe bedeuten.« Die Worte, mit denen ich mich selbst beruhigen wollte, hallten gespenstisch von den Steinwänden wider.
    Ich kehrte in den Windfang zurück und öffnete die Tür zur anderen Seite des Hauses. Die Luft im Wohnzimmer roch muffig und abgestanden und ein bisschen nach Holzpolitur. Ich öffnete das vordere Fenster, das unmittelbar neben dem Windfang lag, und ging an dem dunkelbraunen Ledersofa und dem zerschlissenen Sessel vorbei, um auch das hintere Fenster aufzuschieben. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick auf die Meerenge, wo der Loch Carron in den Atlantik mündete. Direkt hinter dem Haus ging die sanft abfallende Wiese in einen schmalen Streifen Kies über, an dem schon die Wellen leckten. Gegenüber auf der anderen Seite der Meerenge erhob sich die hügelige Küstenlinie der Halbinsel von Applecross. Früher hatte ich oft im Garten gesessen und mir vorgestellt, Cale wäre drüben in Applecross, und sobald ich alt genug war, um hinüberzufahren, könnte ich ihm endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Wegen seiner atemberaubenden Landschaft war Applecross ein beliebtes Touristenziel, ich bezweifelte jedoch, dass das auch für Jenseitswesen galt. Die interessierten sich vermutlich für andere Dinge als ein paar hübsche grüne Hügel.
    Ich riss meine Aufmerksamkeit von der Aussicht los und setzte meinen Rundgang durch das Haus fort, durch die Tür links vom Kamin in das Schlafzimmer meiner Eltern– jetzt wohl Dads Schlafzimmer– und das angrenzende Bad. Der Raum sah noch immer aus, wie ich ihn kannte. Derselbe Kleiderschrank und dasselbe Doppelbett. Selbst die Vorhänge waren dieselben. Lediglich der Standspiegel, den ich immer so geliebt hatte, fehlte. Ein paar Bücher lagen auf dem Nachttisch, davor stand ein gerahmtes Bild von Mom. Die Uhrzeit auf dem Radiowecker blinkte vorwurfsvoll, als hätte schon viel zu lange niemand mehr von der Weckfunktion Gebrauch gemacht. Auch im Bad entdeckte ich nichts, was mir weitergeholfen hätte. Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück und ging durch die kleinere Tür auf der anderen Seite des Kamins ins Arbeitszimmer. Der Geruch von Pfeifentabak und Zigarren hing so schwer in der Luft, als hätte Dad erst vor Kurzem das letzte Mal hier geraucht. Mom hatte den Geruch nie ausstehen können, der für mich so untrennbar mit Dad und meiner Kindheit verbunden war. Sie hatte Dad verboten, in einem anderen Zimmer als seinem Arbeitszimmer zu rauchen. Es überraschte mich, dass er sich selbst zehn Jahre nach ihrem Auszug noch immer daran zu halten schien, denn nirgendwo sonst im Haus war mir dieser Geruch bisher aufgefallen.
    Dads Arbeitszimmer war neben der Küche immer der behaglichste Raum im Haus gewesen. Wie oft hatte ich in dem hohen Ledersessel unter dem Fenster gesessen und in meinen Bilderbüchern geblättert oder mir Hörspiele angehört, während Dad hinter seinem Schreibtisch gesessen und in einem seiner alten Bücher gelesen oder etwas notiert hatte. Nach dem Durcheinander in der Küche war es hier geradezu penibel aufgeräumt. Die Bücher– so unendlich viele Bücher!– waren fein säuberlich in die riesigen Regale eingereiht, die zwei komplette Wände bis unter die Decke einnahmen. Auf dem Schreibtisch lagen Dads Pfeife und die Tabaksdose, so ordentlich, als hätte ich sie selbst zurechtgerückt, alle Papiere

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