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Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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zehn Jahren, mit den rosa Gardinen, einem Himmelbett mit Baldachin, rosa und silbern gestreiften Tapeten und weißen Kleinkindermöbeln. Oder ob ich Angst davor hatte, hinter der Tür einen Raum zu finden, in dem es keinen Platz mehr für mich gab. Einen Raum, den Trick für sich beansprucht hatte, was mich angesichts der Größe seines Zimmers nicht weiter verwundert hätte. Ganz sicher aber hatte ich nicht mit dem gerechnet, was ich tatsächlich zu sehen bekam. Alles Rosa war verschwunden, ebenso der Glitzer und die verspielten Kindermöbel, doch es war noch immer mein Zimmer.
    Unter dem Fenster, das jetzt von einer dunkelblauen Gardine eingerahmt wurde, stand ein modernes Bett mit einem weißen Metallgestell. Über Decke und Kopfkissen war ein Laken ausgebreitet, ebenso wie über den Schreibtisch links davon an der Wand. Leere Regalbretter säumten die Wände, die jetzt mit weiß gestrichenem Holz getäfelt waren. Den gesamten Platz hinter der Tür nahm ein großer Kleiderschrank ein und auf der anderen Seite stand der große Spiegel, den ich in Dads Schlafzimmer vorhin vermisst hatte. Ein dicker, heller Teppich dämpfte meine Schritte, als ich den Raum betrat. Einen Raum, der nur auf meine Rückkehr zu warten schien. Mit dem Spiegel, den ich immer so gemocht hatte! Dad hatte die Hoffnung offensichtlich nie aufgegeben, dass Mom und ich zurückkehren würden. Ich sog die Luft ein und roch die frische Farbe. Es konnte noch nicht lange her sein, dass er das Zimmer hergerichtet hatte. Ein paar Monate? Vielleicht sogar nur ein paar Wochen. Womöglich war es sein Plan gewesen, mir an meinem sechzehnten Geburtstag alles über das Jenseits zu erzählen und Mom und mich hierher zurückzubringen. Und Mom war dagegen gewesen, mich einzuweihen. Offengestanden war ich mir auch nicht sicher, ob ich wirklich wieder hier leben wollte. Meine Freunde waren in London, außerdem Geschäfte, Kinos und Clubs– all die Dinge, die für jemand in meinem Alter wichtig waren. Abgesehen von einer wunderbaren Landschaft gab es hier nichts. Aber Dad wollte, dass wir zurückkamen. Er hatte mit mir– mit uns– gerechnet.
    Und jetzt war er fort.
    Ich würde ihn finden. Ihn und Trick. Weit konnten sie nicht sein. Ich würde sie alle finden. Dad, Trick– und Cale.
    Ich war versucht, Kontakt zu Cale aufzunehmen. Da ich jedoch wusste, wie viel Kraft es ihn in der letzten Zeit gekostet hatte, mit mir zu sprechen, beschloss ich, damit zu warten, bis ich mich ein wenig genauer umgesehen hatte. Doch zuallererst entfernte ich die Laken von Bett und Schreibtisch, holte frische Bettwäsche aus einem Schrank im Abstellraum und bezog das Bett. Nachdem ich fertig war, ging ich nach unten, um meine Tasche zu holen.
    In der Küche stand ein Fremder.

19
    Er stand einfach da und starrte mich an. In Ermangelung des Elektroschockers, der sich sorgsam verstaut in meiner Tasche im Windfang befand, packte ich einen der Schuhe, die am Fuß der Treppe standen, und hob ihn angriffslustig in die Höhe. Keine sonderlich beeindruckende Waffe. Aber ganz sicher würde ich nicht hysterisch kreischend die Flucht ergreifen. Nicht, solange die Möglichkeit bestand, dass dieser Fremde die Antwort auf meine Fragen kannte. Oder mir zumindest nicht feindlich gesonnen war.
    Ich packte den Schuh fester. »S ie erklären mir besser schnell, was Sie hier zu suchen haben.«
    Der Eindringling trug keine sichtbaren Waffen, was er mir zeigte, indem er seine leeren Handflächen hob. Er machte auch keine Anstalten, näher zu kommen. Der anfängliche Schreck war aus seinen Zügen gewichen. Plötzlich sah er bedeutend jünger aus, vielleicht zwei oder drei Jahre älter als ich selbst. Sein Blick richtete sich auf den Schuh in meiner Hand. Ein amüsiertes Lächeln zuckte in seinen Mundwinkeln. »D u bist noch immer genauso unberechenbar wie früher, Serena.«
    »A ha.« Ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte, war mir noch nicht einmal sicher, ob es gut oder schlecht war, dass er meinen Namen kannte.
    »U nd du hast nicht die geringste Ahnung, wer ich bin.«
    Das war wohl offensichtlich, deshalb nickte ich. »H ilf mir auf die Sprünge, bevor ich mich doch noch gezwungen sehe…« Ich wedelte drohend mit dem Schuh.
    »I ch hoffe, der ist nicht geladen«, sagte er, immer noch grinsend. »D u könntest mich sonst ernsthaft verletzen.«
    »A n deiner Stelle wäre ich vorsichtig. Der gehört meinem Bruder und ich weiß nicht, wie lange er den anhatte, ohne die Socken zu wechseln.« Ich

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