Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi
Männerabend habe. Doch als er den Hörer in die Hand genommen hatte, war es ihm wieder eingefallen. Seine Freundin Kathrin war zum Frühstück bei ihm gewesen. Sie hatte darauf bestanden, den Abend gemeinsam mit ihm auf dem Weindorf am Gänsemarkt zu verbringen. Er erinnerte sich daran, dass sie sich dort mit ihren Freundinnen und deren Männern verabredet hatte. Allein bei dem Gedanken daran hatte sich Stahlhuts Magen verkrampft, und ein hartnäckiges Sodbrennen, mit dem er schon seit der Jugend zu kämpfen hatte, machte sich bemerkbar.
Kathrin war vor ein paar Monaten aus ihrer gemeinsamen Wohnung ausgezogen, weil sie es nicht länger ausgehalten hatte, mit einem Menschen zusammenzuleben, der – wie sie ihm an den Kopf geworfen hatte – so unzuverlässig und egozentrisch wie Stahlhut durchs Leben ging. Warum sie nicht sofort mit ihm Schluss gemacht hatte und stattdessen in jeder freien Minute seine Nähe suchte, war ihm unklar.
Kathrins Freundinnen waren schlimmer als die aufgedrehten Hühner aus »Sex and the City«. Ihre Gesprächsthemen waren derart oberflächlich, dass Stahlhut dagegen selbst die Fußballgespräche mit seinen Kollegen als geistreiche Unterhaltung empfand. Und dann die Männer. Verweichlicht, unterdrückt, meinungslos, zu Dienstboten degradiert. Wie um alles in der Welt sollte er es bloß ertragen, einen gesamten Abend mit diesen Menschen zu verbringen und belanglosen Small Talk über TV -Superstars zu halten oder über die neueste Risotto-Kreation zu sprechen? Und als Höchststrafe sollte er auch noch Wein anstatt seines geliebten Biers trinken?
Das Weindorf am Gänsemarkt bot Weine aus aller Herren Länder. Merlot, Tempranillo, Silvaner, Riesling – Namen, die Stahlhut so fremd waren wie die Interessen seiner Freundin. Ihm genügte ein gut gezapftes Bier, um glücklich zu sein. Warum sollte er stundenlang darüber philosophieren, wie ein alkoholisches Getränk mundete? Im Grunde ging es doch nur darum, sich einen hinter die Binde zu kippen.
»Huhu!« Eine aufgeregte Frauenstimme drang an Stahlhuts Ohr. Widerwillig schob er Kathrin vor sich her durch die Menschenmenge in Richtung des Pfälzer Weinstandes; vorbei an dem Brunnen mit den acht aus Bronze gegossenen Gänsen, der in der Mitte des Platzes stand.
Er musste einsehen, dass seine Befürchtungen wahr geworden waren. Silke, Kathrins engste Freundin, wartete bereits auf sie. Sie war die Schrecklichste von all den Bekannten, die ihm Kathrin in den letzten Jahren vorgestellt hatte. Kaufsüchtig, laut, hysterisch.
»Hallo, Silke!«
Küsschen links, Küsschen rechts.
Stahlhut zwang sich zu einem Lächeln. Aus dem Hintergrund trat ein unscheinbarer Mann, den er als Silkes Mann erkannte.
»Kai, schön, dass du dabei bist!«, säuselte Silke. »Dann kannst du ja die Diskussion über das perfekte Pesto fortsetzen, die du beim letzten Mal mit Frank geführt hast.« Sie lachte schallend.
Stahlhut tat ihr den Gefallen und lachte mit. Drei Sekunden. Dann erfror seine Miene zu einem eisigen Blick, der Silke wie ein Blitz traf. Im nächsten Augenblick riss jemand an seiner Schulter. Stahlhut drehte sich um und sah einem Mann in die Augen, den er augenblicklich in die Schublade »Banker« steckte.
»Schön, dich zu sehen«, sagte der Mann.
»Kennen wir uns?«
»Mensch, Kai, ich bin’s, Ralf.«
Ralf? Doch nicht etwa Heikes …?
»Heike ist auch hier«, unterbrach der Mann Stahlhuts Gedanken. »Heike, komm doch mal rüber! Ich habe Kai getroffen.«
Stahlhut verzog den Mund und drängte sich weiter in Richtung der Theke. Silke und Frank, Heike und Ralf – was für ein schrecklicher Abend stand ihm bloß bevor? Ralf war die Fleischwerdung des immerzu freundlichen, immer korrekten Menschen. Jemand, den man gerne so lange provozieren wollte, bis auch aus ihm ein unkontrolliertes Wort herausbrach.
»Ah, Kathrin!«, hörte Stahlhut Ralf hinter sich rufen. »Lass dich drücken!«
Stahlhut versuchte wegzuhören, indem er die Tafel des Weinstandes studierte.
»Bitte schön, was darf’s denn sein? Ein Schoppen Riesling vielleicht?«
»Ist der sauer oder ist das so ‘n süßes Gesöff?«
»Trockener Kabinett. Wenn Sie lieber einen lieblicheren Tropfen hab…«
»Nee, is okay. Zweimal bitte.«
Stahlhut bezahlte und nahm die beiden Weingläser entgegen, die wie kleine Senfgläser aussahen. Er blickte sich um, aber Kathrin war nirgends zu sehen. Auch die anderen waren in der Menge nicht mehr auszumachen. Stahlhut hätte lügen müssen, wenn
Weitere Kostenlose Bücher