When the Music's Over
kleine Faizul ziemlich freie Hand, und wenn sie den »Brot-Kram«, wie er es nannte, aufgenommen hatten, zogen er und Ali durch die ehemalige Künstlerkolonie und suchten nach Spuren von Rashala und anderen berühmten Freezoniern.
Faizul hingegen streifte lieber durch die kleinen Boutiquen und Schmuckgeschäfte, nicht zum Einkaufen, sondern einfach nur zum Zeitvertreib. Und dort traf sie auf Sandrine – besser gesagt, sie hörte sie.
»– und warum wurde mir dann gestern gesagt, dass es heute in meiner Größe da ist?«
Faizul spähte um einen Ständer mit bunten Kaftanen, diese Stimme kannte sie doch. Sandrine MacMillan stand nur wenige Meter von ihr entfernt. Anklagend hielt sie ein undefinierbares Kleidungsstück in die Höhe, während die genervte Besitzerin der Boutique vergeblich versuchte, ihre aufgebrachte Kundin zu beruhigen.
»He, Kumpel, hier ist sie!«
Ein verwahrlost aussehender Mann brüllte quer durch den Laden. Sandrine ließ das Kleidungsstück fallen. Ihre Augen irrten durch den Raum, fast als würde sie nach einem Fluchtweg suchen, und erblickten Faizul.
»Hallo, wen haben wir denn da?«, sagte im gleichen Moment eine nur allzu vertraute Stimme in Faizuls Nacken. Sie konnte seinen Atem fühlen und erstarrte.
»Hallo, Erg«, murmelte sie matt.
»Die kleine Faizul, wer hätte das gedacht.« Er packte sie bei den Schultern und schwenkte sie herum. »Und sie freut sich ja so, mich zu sehen.« Er drehte sich zu dem Mann, der Sandrine entdeckt hatte, und rief: »Sag den anderen Bescheid, wir haben was zu feiern.« Er sah Faizul bohrend an. »Haben wir doch, oder etwa nicht?« Seine Hand legte sich an ihren Hinterkopf und ließ sie wie eine Marionette nicken. Dazu sagte er mit Fistelstimme: »Ja, Erg, das haben wir.«
Sie waren in eine der zahlreichen Hafenspelunken gegangen. Erg, Sandrine und vier durchgeknallte Typen – Mitglieder einer Gang oder einer Rockband, dachte Faizul, die wie in Trance mitging.
Irgendwann, Stunden später, hatte sie ihren Willen so weit wieder gefunden, dass sie sich bei der Gruppe entschuldigte und zum Klo ging. Ein schmales Fenster, das sich zu einer kleinen Gasse hin öffnete, diente als Fluchtweg. Und von da an war sie nur noch gerannt.
Faizul war nicht mutig. Für sie war es schon ein großer Schritt gewesen, mit dem Team nach Hamburg und Berlin zu fahren. Die furchtbaren Stunden in den Tunneln und der Angriff auf die Basis der Aliens – sie fragte sich, wie sie all dies hatte überleben können. Sie hatte noch nie zuvor einen Menschen sterben gesehen – all das Blut, es war so echt. Für sie war der Tod etwas, was von den VID-Teams vor Ort via Com-Link in die Sendezentrale überspielt wurde: Opfer von Umweltkatastrophen, Terroranschlägen oder Verkehrsunfällen. Nie hatte sie sich überlegt, was hinter den Toten stand – ihre Namen, ihre Hoffnungen, Freunde, die sie beweinten. Danuta, Bingo und Dreisatz. Wer würde um diese Kinder weinen, um ihre Träume und unerfüllten Wünsche? Dabei wollten sie so wenig, nur einen Ort zum Leben, einen Ort ohne außerirdische Invasoren.
Nein, mutig war sie nicht. Vielleicht hatte sie all ihren Mut bereits vor Jahren aufgebraucht, als sie mit ihren Eltern und ihren Geschwistern aus dem brennenden London geflohen war. Faizuls kleine Schwester war in einem Flüchtlingslager gestorben – an einer der vielen unbekannten Virusinfektionen –, so hatte man ihr erzählt. Seitdem hatte Faizul oft das Gefühle, sie würde ihr Leben nur einem seltsamen Zufall verdanken. Ihre Eltern, hochklassige Systementwickler, waren sehr wohlhabend und so war ihr Leben immer erträglich gewesen. Die diversen Durchgangslager hatten daran nichts geändert. Einige Jahre hatten sie in der Schweiz gelebt – sie und ihre zwei Brüder waren auf teure Internate gegangen –, dann hatten ihre Eltern das Angebot bekommen, für ein Konsortium auf Antarctica zu arbeiten. Faizuls Brüder waren mitgegangen. Sie hatte ein Praktikum bei Kanal 7 gemacht und sich binnen kurzem zur Producerin hochgearbeitet.
Und jetzt war sie hier auf Freezone und alles nur, weil sie Sandrines Gequatsche nicht mehr ausgehalten hatte und mit Brad und Ali zu diesen verrückten Kinder-Terroristen gegangen war. Und wer war noch auf Freezone? Das Leben war nicht fair. Ihre Karriere-Aussichten waren gleich Null, für Brad war sie immer noch ein kleines Mädchen und jetzt war auch noch ihre Vergangenheit in Verkörperung von Erg Alonquin hinter ihr her.
Keuchend blieb sie unter
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