Whisper (German Edition)
wirklich gegen das Gekicher und Geschnatter der Mädchen an, bemerkte auch das coole, alles beherrschende Verhalten der Jungs, die kein wirkliches Ohr für den Mann hatten, sondern lediglich einige blöde Bemerkungen zutage förderten, die dem Gelächter neue Nahrung gaben. Wie sollte er ihnen erklären, was sie erwartete, wenn sie ihm nicht zuhörten, und wie sollte er das Mädchen in weiterer Folge schützen, wenn … Er erschrak, als er merkte, wie Jasmin gedachte, ihm jedes weitere Wort abzunehmen. Sanft bewegte sie ihre Hände, hob ihren Kopf, hielt ganz kurz inne, bevor sie sich an die Kapuze griff und diese mit einer leichten Bewegung nach hinten strich. Zuerst waren es nur ihre halblangen, dunkelbraunen Haare, die zum Vorschein kamen und sich wie ein Vorhang über ihre Schultern ergossen, doch als sie den Kopf noch ein Stück weiter nach oben nahm, sodass der Blick auf ihr Antlitz frei wurde, verstummten die Kids auf der Stelle und starrten mit ungläubigen, großen Augen auf das, was sich ihnen bot. Sekundenlang verharrten sie in der Stellung des gegenseitigen Anstarrens. Es war undefinierbar, was sich in den Köpfen der Jugendlichen abspielte. Jasmin ahnte es. Sie kannte die Blicke, war in diesem Moment froh, Gedanken nicht wirklich lesen zu können. Noch entstammten sie dem Überraschungsmoment, aber jene des Widerstrebens und des Beiseiteschiebens würden auf dem Fuß folgen, bis das kam, vor dem sich Jasmin am meisten fürchtete. Die tiefen, manchmal erschrecken indiskreten und beleidigenden Meldungen. Und die ließen auch jetzt nicht lange auf sich warten.
„Wow!“ Der erste Ausruf. „Von Frankensteins Monster ist das aber nicht weit entfernt.“
Stefan hörte die Bemerkung, reagierte sofort, hob seine Hand und gab Judith von hinten eine harte Kopfnuss.
„Aua“, schrie diese erschrocken und empört auf, wobei sie sich heftig herumwuchtete, „spinnst du?“
In diesem Moment senkte Jasmin wieder ihren Kopf und wandte sich um. In ihren Gedanken formierte sich das Wort Flucht. Weg! Nur nichts wie weg! Irgendwohin, wo sie niemand sah, und niemand sie als Monster bezeichnete. Niemand brauchte ihr zu sagen, was man dachte, sie hatten es in deren Augen gesehen. Mehr brauchte sie nicht. Mit einer raschen Drehung, die Kinsky einfach übersah, entzog sie sich seinem Griff, umklammerte ihre Tasche und stampfte gesenkten Hauptes Richtung Auto zurück. Würde ihr das Auto Schutz bieten, sie vielleicht woanders hinbringen, wo es niemanden gab, der sie beleidigte, sie anstarrte oder diskriminierte? Sie sah nicht hübsch aus, das war ihr klar und bewusst, aber es tat jedes Mal wieder weh, so deutlich darauf hingewiesen zu werden.
„Fantastisch“, schimpfte Stefan deutlich. „Judith, wie kann man solche Gedanken nur laut aussprechen?“
„Ist doch wahr“, entgegnete diese böse, ohne dabei auf ein widerliches Grinsen zu verzichten. „Hast du sie nicht gesehen? Wenn es Monster gibt, dann gehört die wohl dazu. Da sind ja Zombies noch schöner. Hoffentlich habt ihr für sie ein separates Zimmer, denn ich werde auf keinen Fall mit der zusammen unter einem Dach drei Wochen wohnen.“
Stefan musste sich schwer bremsen, als er einen Blick in Judiths Augen warf. Ein Biest blinkte ihm entgegen. Hart, unbeugsam, nur für sich selbst da und gewillt, auf andere cool zu wirken. Etwas anderes zählte nicht. Vielleicht wusste ihr tiefstes Innerstes, dass das, was sie tat, falsch war. Doch dieser vielleicht gute Kern war mit einer dicken Stahlmauer ummantelt. Keine Chance durchzukommen.
„Was ist der denn passiert?“, wollte nun Edith wissen, die wenigstens etwas mehr Anteilnahme versprühte.
Stefan blickte Kinsky hinterher, der Jasmin eingeholt hatte und mit ihr sprach, holte tief Luft, einfach um seinen Ärger zu schlucken, der dazu tendierte, nach vorne raus zu wollen.
„Ich glaube, es ist nicht mein Job diese Geschichte zu erzählen“, erklärte er gereizt, da ihm missfiel, wie die Jugend mit der Situation umging, sich aber wohl daran erinnerte, wie er selbst gewesen war. „Sie hatte einen sehr schweren Unfall, bei dem sie sich das Gesicht und auch die Arme zerschnitten hat. Man hat sie zwar wieder zusammengeflickt, aber die Narben werden ihr wohl bleiben.“
Christina schnappte ihre Tasche.
„Okay“, meinte sie schnippisch und voll von sich selbst überzeugt. „Dabei hat es ihr vermutlich die Sprache verschlagen. Wenn das jetzt heißen soll, dass wir drei Wochen Rücksicht auf sie nehmen sollen,
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