Whisper (German Edition)
nichts, was nach einem Garten aussah, so wie Jasmin es aus den Münchner Vorstadtvierteln gewohnt war. Menschen, die akribisch mit Zäunen und Bauwerken ihre Grundstücke abgrenzten. Nun, vor welchen Nachbarn hätte man sich hier auch schützen sollen. Es gab keine. Ringsum erstreckte sich die Wildnis in Berge, Wiesen, Bäume, Büsche, Blumen und viele Vögel, die in den Zweigen der Zedern, Lärchen und Tannen ihr fröhliches Lied zwitscherten. Vielleicht hatte man geglaubt, ihr hier ein gewisses ´Alleinsein` geben zu können. Allein sein? Sie war nicht allein. Dort gab es Menschen, Jugendliche, die sie nicht kannte, und sie jagten ihr Angst ein.
Etwas weiter links, schräg hinter dem Haus, erkannte Jasmin den Holzzaun einer Koppel. Es musste eine Pferdekoppel sein, doch sie konnte weit und breit keine Pferde entdecken. Pferde … Sie musste verhalten in sich hineinlächeln. Pferde hatten einst eine so große Bedeutung für sie. Es hatte eines gegeben. Nur eines. Dieses Tier hatte ihr Kraft gegeben, ihr geholfen, wenn sie traurig war, hatte Sorgen mit ihr getragen und sie ohne große Worte verstanden. Aber dieses Pferd gab es nicht mehr. Es war weg. Es war ihr noch nicht mal gegönnt gewesen, sich von ihm zu verabschieden. Es war einfach nicht mehr da gewesen.
„Kommst du?“
Jasmin zuckte heftig zusammen und bemerkte, wie tief sie in ihre Gedanken gerutscht war. Dieses Bild vor ihrem inneren Auge. Die Augen, die Mähne … Das Bild eines Pferdes … Schnell verwarf sie es und blickte zu dem Mann, der sie hierher gebracht hatte. Er sprach schönes, langsames Englisch. Jasmin war der Sprache durchaus mächtig, aber nicht gewohnt, sie auch zu verwenden, weswegen sie etwas Schwierigkeiten hatte, immer alles zu verstehen. Der Mann besaß ein etwas kantiges Gesicht, hatte lange, schwarze Haare, die er im Nacken zu einem Zopf gebunden hatte. Jasmin störte die ungewöhnliche Haarlänge nicht. Schließlich gab es auch in München Männer mit langen Haaren oder auch mit diesen gedrehten Dreadlocks, die sehr verfilzt, dreckig und ungepflegt aussehen konnten, bei manchen aber dazugehörten, wie ein Hemd und eine Hose. Eigentlich gab es haartechnisch nichts, was sie nicht in München schon mal auf der Straße gesehen hatte. In der Mitte blond und seitlich schwarz, oder gar oben grün und seitlich lila, rosa sah am Kopf besonders beknackt aus, und ziegelrot war wohl eine besonders verschärfte Wunschfärbung. Was war da schon ein Mann mit naturschwarzen, langen Haaren? Nochmals seufzte sie auf, zog ihre Kapuze wieder etwas weiter ins Gesicht, schlüpfte mit den Daumen durch die Öffnungen am Ärmelbund des Sweaters, drückte ihre Tasche an sich, schob die Fahrzeugtür etwas weiter auf und stieg aus. Irgendwann musste sie den Leuten ja wohl gegenübertreten.
Jasmin versuchte sich an den Namen des Mannes zu erinnern, der sie gefahren hatte, doch er fiel ihr beim besten Willen nicht mehr ein.
„Ich werde dein Gepäck zum Haupthaus tragen“, hörte sie ihn sagen, während er um den Pick Up herumkam. „Und wenn du weißt, wo du wohnen und die nächsten drei Wochen schlafen wirst, wird dir sicher einer helfen, es dorthin zu tragen. Ich werde nicht mehr lange hier sein. Meine Familie wartet sicher schon auf mich.“
Jasmin sah ihn nur kurz an, senkte den Kopf und wandte sich wieder ab. Sie hätte vielleicht „danke“ sagen sollen, aber es ging nicht. Es ging einfach nicht.
Der Mann schnappte ihren Koffer, schlug die Heckklappe des Pick Ups wieder zu und war mit ein paar wenigen Schritten an ihrer Seite.
„Nicht so schüchtern, junge Dame. Die werden dich nicht gleich fressen.“
Nein, das ganz bestimmt nicht, sie würden sich angewidert abwenden.
In diesem Moment bemerkte Kinsky das Mädchen, winkte, und kam strammen Schrittes auf sie zu, während sich Stefan mit den anderen Jugendlichen beschäftigte. Auch sie hatten ihr Gepäck mittlerweile bei sich.
„Jaro, mein Freund. Ich bin dir wirklich so dankbar, dass du gefahren bist“, rief Kinsky, während er näher kam, reichte dem Mann mit den schwarzen, langen Haaren die Hand und schüttelte sie herzlich. „Solltest du etwas brauchen, dann melde dich bei mir. Ich werde zur Stelle sein.“
Jaro, ja jetzt erinnerte sich Jasmin wieder. Er hatte sie immer sanft angelächelt und nie den direkten Blick in ihr Gesicht gesucht. Etwas, was ihr doch aufgefallen war.
„Keine Ursache. Sollten mir wieder mal ein Kalb verloren gehen, werde ich dich sowieso brauchen. Pass mir
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