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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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zwischen den direkt hinter dem Ta- xistand vorbeirasenden Autos hindurchzugelangen. Doch selbst dies würde sie nur an eine Mauer führen.
    Als ihr bewusst wurde, dass es keine Fluchtmöglichkeit gab, stieß sie ein unfreiwilliges Fauchen aus, das die vor ihr stehende Frau erschro- cken herumfahren ließ; ihr Gesicht war kreidebleich, die Augen fielen ihr fast aus dem Gesicht. Alles in Miriam schrie danach, zu töten. Hätte sie keinen so starken Willen gehabt, hätte sie der Kreatur wohl die Kehle herausgerissen.
    Sie unterdrückte ihre Instinkte und rang sich ein Lächeln ab. Sie würde ihre letzte Trumpfkarte ausspielen – und den Polizisten ihren für derartige Notfälle gedachten Cheryl-Blackmore-Führerschein zeigen und behaupten, ihren Reisepass verloren zu haben. Bis die Polizei herausgefunden hatte, dass Cheryl Blackmore eine längst verstorbene Frau aus Nebraska war, die nie einen Reisepass besessen hatte, würde sich ihr vielleicht eine Gelegenheit zur Flucht eröffnen. Die drei Polizisten kamen näher – und begannen, sich miteinander zu unterhalten. Sie lachten, waren völlig ungezwungen und beachteten Miriam überhaupt nicht. Sie hatten sich über Funk bloß für ihre Kaffee- pause verabredet.
    Dies waren wieder die guten alten Menschen, dachte sie, die arglo- sen, zerstreuten, erheiternden Geschöpfe, die von den Hütern so sorg- fältig herangezüchtet worden waren.
    Sie stieg beschwingt in ihr Taxi. Es war herrlich, entkommen zu sein, herrlich, wunderbar und zugleich unfassbar. Was für ein Glück sie ge- habt hatte.
    Ihr Mund wurde wieder trocken, ihre Muskeln entspannten sich. Der in ihr wogende Hass verebbte. Das Taxi schoss eine Auffahrt hoch und fuhr in den hellen Sonnenschein. Miriam lehnte sich in das Sitz- polster zurück.
    » Votre destination, madame?«

»Ins Ritz«, sagte sie. Sie würde eine riesige Suite nehmen. Das Ritz bedeutete seidene Bettlaken wie zu Hause und ein langes Telefonge- spräch mit Sarah, um ihr zu sagen, wie einsam sie sich fühle und wie viel Heimweh sie habe ... und dass sie ihr umgehend einen neuen Rei- sepass schicken solle.
    Im Taxi fixierte sie, so weit möglich, den angebrochenen Schuhab- satz, um wenigstens einigermaßen gehen zu können, ordnete ihre Fri- sur und versuchte die Falten in ihrem Jackett zu glätten. Ihr Koffer war natürlich verloren, daher würde sie sich neue Kleidung kaufen müssen, und für Maßanfertigungen bei Chanel war keine Zeit. Dies würde Sa- rah freuen. Natürlich waren sie beide ausgesprochene Mode-Fana- tiker, aber Sarah fand Miriams Geschmack viel zu konservativ. Das Paris, das vor ihren Augen vorbeiraste, war ihr völlig fremd. Die breiten Schnellstraßen und die endlosen, jenseits der Périphérique wie monströse Klippen in den Himmel schießenden Häuserblocks beunru- higten und verwirrten sie.
    Eine praktisch neue Stadt war aus dem Boden gestampft worden, und das in diesen wenigen Jahren! Aber dann verließ das Taxi die Schnellstraße und fuhr in eine Gegend, die ihr, dankbarerweise, ver- traut war. Sie waren auf der Rue de Vaugirard, wo Philippe Vendome gewohnt hatte. Sie war von seinen Alchemie-Studien fasziniert gewe- sen und hatte, während sie sich vom Tod ihrer Mutter erholte, einige Zeit bei ihm gelebt. Sie hatte ihn angehimmelt, hatte seine geschliffe- nen Manieren und sein Geschick beim Bridge bewundert. Miriam liebte Kartenspiele, fand aber nur selten ernst zu nehmende Gegner. Sie hatte Philippe von ihrem Blut gegeben und damit seine Leben- suhr zurückgestellt. Danach hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, die Geheimnisse der Hüter zu erforschen, was damals, im frühen acht- zehnten Jahrhundert, natürlich ein hoffnungsloses Unterfangen gewe- sen war. Dennoch war er ein angenehmer Gefährte und guter Liebha- ber gewesen, so lange, bis sie Lord Hadleys Sohn John kennen ge- lernt hatte.
    »Philippe«, murmelte sie und dachte an sein wunderschönes Herren- haus. 1956 war es eine Ruine gewesen. Sie war durch die stillen Räume gewandert, in denen sie gelacht und sich geliebt hatten, und hatte über das kurze Leben der Menschen sinniert. Heute konnte sie das einstmals erhabene Anwesen, an das bloß noch die Vorderseite eines riesigen Gebäudes erinnerte, nur erahnen. Die Straße, durch die das Taxi jetzt fuhr, verlief ein Stück entlang des eleganten Parks, in

den er oft mit ihr gegangen war, um seine Schwäne zu füttern. Nun fuhren sie in einen Tunnel voller Autos und Lastwagen, rasten in tödlichem Tempo hindurch.

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