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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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Flugfeld gehabt hatte.
    Die Antwort war, dass es zu einem Monstrum angewachsen sein musste, und sie überlegte, ob ihre Brüder und Schwestern vielleicht doch Recht hatten. Vielleicht sollte auch sie sich nur an einem Ort auf- halten, denn allmählich schien die ganze Welt um sie herum aus den Fugen zu geraten. Sie sprintete auf die Leiter zu, war mindestens dop- pelt so schnell wie der schnellste Mensch – doch welche Rolle spielte das in einer Welt, in der Maschinen mit atemberaubenden Geschwin- digkeiten dahinjagten? Selbst die unbändige Kraft eines Hüters war nichts im Vergleich zu fünfzig Tonnen rasenden Stahls.
    Als sie die Leiter erreichte, kamen die Scheinwerfer des unterirdi- schen Zugs um die Kurve geschossen. Sofort begann die Hupe zu er- tönen. Schlimmer noch, ein kreischendes Geräusch erklang, und der Zug verlor dramatisch an Tempo. Dieses Mal hatte der Fahrer sie auf jeden Fall gesehen und stieg voll auf die Bremsen. Das Letzte, was sie brauchte, war eine Konfrontation in diesem verdammten Tunnel. Das wäre das Ende. Dann säße sie in der Falle.
    Sie stürmte die Leiter hoch, musste aber feststellen, dass die stäh- lerne Einstiegsluke bombenfest in ihrer Verankerung saß. Nur ihre im- mense Kraft befähigte sie, so lange dagegen zu drücken, bis die Luke sich verbog und schließlich aufsprang.
    Der Zug kam ungefähr drei Meter vor ihr zum Stehen. Er stand da,

unsichtbar hinter seinen gleißenden Scheinwerfern, seine Hupe unun- terbrochen tönend. Aus dem Tunnel erklangen Stimmen, Leute brüll- ten auf Französisch, dass sie stehen bleiben solle ... auf Französisch, aber darunter war auch diese Stimme mit dem amerikanischen Akzent. Sie stieg durch die Wartungsluke. Nun befand sie sich in einem Tun- nelschacht, war nicht weit entfernt von einer Tür. Sie hielt es für wenig sinnvoll, weiter durch diesen Schacht zu fliehen, obwohl er offenbar für Fußgänger gedacht war und nicht für unterirdische Züge. Tunnel und Schächte waren verdammte Fallen. Sie nahm die Tür.
    Helles Tageslicht schlug ihr entgegen; lautes Stimmgemurmel über- flutete sie. Sie stolperte, und jemand sagte: » Pardon.« Sie hatte einen Mann angerempelt, der in einer Schlange vor einem Taxistand war- tete. Er griff ihr stützend um die Taille. » Madame?«, sagte er, seine Stimme fragend gehoben.
    »Entschuldigung«, stammelte sie auf Englisch, dann auf Franzö- sisch: » Pardon, je suis confuse.«
    Er musterte sie von Kopf bis Fuß. Die anderen Leute in der Warte- schlange starrten sie neugierig an.
    »Mein Schuhabsatz ist gebrochen«, fügte sie hinzu und lächelte schwach. Dann ging sie ans Ende der Schlange. Sie war haarscharf dem Horror einer Verhaftung entronnen und aus dem unterirdischen Irrgarten entkommen. Irgendwie hatte sie es in die Oberwelt geschafft. Sie brauchte ein Hotelzimmer, überlegte sie, und anschließend würde sie Martin Soule aufsuchen. Er war in den Tagen der gepuder- ten Perücken ein Freund ihrer Mutter gewesen. Das letzte Mal hatte sie ihn vor fünfzig Jahren gesehen. Martin war steinalt und weise und äußerst vorsichtig. Außerdem hatte er Stil, war mächtig und ein verwe- gener Abenteurer. Wie Miriam war auch er ein Weinliebhaber und hatte sich sogar so weit desensibilisiert, dass er gewisse Sachen es- sen konnte, denn in Frankreich zu leben war schwierig, wenn man nie etwas aß. Einmal hatte er sie zum Lachen gebracht, als er mit einem einzigen kräftigen Schluck das Blut eines enorm großen Fisches hin- untergespült hatte. Als er ihn anschließend nach menschlichen Koch- regeln zubereitet hatte, war ihr jedoch speiübel geworden. Sie erin- nerte sich noch gut an den grässlichen Geruch des heißen, dampfen- den Fleisches, als er den Fisch aus dem Ofen nahm.
    Sie befand sich noch immer fast am Ende der Warteschlange, als sie einen in sein Funkgerät sprechenden Polizisten bemerkte, der sie of- fen anstarrte. Ihr Herz sank. Zu Hause hatte sie nie Probleme mit der

Polizei. Polizisten waren ihre Freunde. Sie ließ dem Sechsten Revier, in dessen Zuständigkeitsbereich ihr Club lag, regelmäßig einen groß- zügigen Obolus zukommen. Doch diese Polizisten hier konnte sie nicht bestechen.
    Der Polizist schritt auf die Warteschlange zu. Seine Hand lag auf dem Knauf seines Revolvers. Sie erwog fortzulaufen, aber aus der ent- gegengesetzten Richtung kamen zwei andere Polizisten auf sie zu. Ihr blieb nur, auf die Straße zu rennen und zu hoffen, mit ihrer Schnellig- keit und Gewandheit ungeschoren

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