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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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Und da waren sie, ganz plötzlich, die Champs Élysées. Sie hatten eine ihr unbekannte neue Route genom- men.
    Alles war ihr so vertraut und lieb. Sie erinnerte sich noch an die Champs-Élysées vor fünfzig Jahren, selbst vor hundert Jahren – die- selbe beeindruckende Straßenbreite, dieselben Bäume und dasselbe prachtvolle Ambiente. Ja, so hatte es ausgesehen, seit Louis Philippe den genialen Haussmann beauftragt hatte, die verschlungene alte Spaghetti-Schüssel des vormaligen Paris umzugestalten.
    Wenig später fuhren sie durch die mit Edelboutiquen gesäumte Rue St. Honoré; in den Auslagen der Geschäfte sah sie die seltsam sch- lichte Kleidung dieser Ära, Kleidung, die zunehmend das Männliche gegenüber dem Weiblichen bevorzugte. Die Idealfigur der Frauen glich immer mehr der eines Knaben. Sie selbst dagegen bevorzugte weibli- che Eleganz.
    Dann kam der Place Vendôme. Das Ritz sah exakt so aus wie früher. Ihr wunderschönes, geliebtes Ritz. Das erste Mal war sie dort an ei- nem verregneten Abend vor dem Zeitalter des Motors eingekehrt. Wann war das gewesen? Etwa um 1900, als sie und John Blaylock hergekommen waren, um dem Luxus zu frönen, mit dem das Ritz sei- nen großartigen Ruf zu begründen begonnen hatte.
    Als sie aus dem Taxi stieg – dieser winzigen modernen Blechdose –, stand sie einem Portier gegenüber, der die vertraute grüne Livrée des Hotels trug, und selbst sein Mantel war eine schöne Reminiszenz an gemächlichere Zeiten.
    Sie betrat die Lobby und schritt über den dicken Teppich zur Rezep- tion. Natürlich kannte sie keines der Gesichter. Nach fünfzig Jahren war das Personal ein völlig anderes. Menschen kamen und gingen wie die Gischt auf einer ruhelos heranbrandenden Welle. Nun, Sarah würde sie wenigstens noch ein weiteres Jahrhundert genießen kön- nen, vielleicht sogar zwei ... es sei denn, die Gute entdeckte eine bahnbrechende wissenschaftliche Methode, ihre Lebensspanne noch weiter zu verlängern. Sarah wusste um das hässliche Geheimnis ihrer künstlichen Langlebigkeit. Einen weniger gefestigten Menschen hätte dieses Wissen in den Wahnsinn getrieben, die arme Sarah dagegen trieb es an ihre Reagenzgläser.
    »Ich fürchte, ich habe keine Reservierung«, sagte Miriam zu dem

Rezeptionisten, dem es trotz seiner offensichtlichen Beunruhigung ge- lang, freundlich zu wirken. Als sie auf ihn zugegangen war, hatte ihr sein Blinzeln verraten, dass er bemerkte, wie zerknittert ihre Kleidung aussah. Sie war übernächtigt und humpelte wegen des lockeren Schu- habsatzes. Alles in allem sah sie in seinen Augen sicherlich nicht wie jemand aus, der hierher gehörte. Und ihn zu beeindrucken, indem sie mit Namen von vor fünfzig Jahren um sich warf, wagte sie nicht. Ein solcher Versuch, aus dem Munde einer etwa Fünfundzwanzigjährigen kommend, hätte sich wie das Gebrabbel einer Geisteskranken ange- hört.
    »Das tut mir Leid«, entgegnete er.
    »Ich hätte gerne eine Suite. Am liebsten eine im vierten Stock.« Dort lagen die besten Zimmer des Hotels, die einzigen, die für sie über- haupt in Frage kamen.
    Er bat um ihre Kreditkarte. Sie gab ihm Sarahs Visa-Karte. Sarah mochte es nicht, wenn sie sie benutzte, aber gegenwärtig blieb ihr nichts anderes übrig. Ihre eigene zu verwenden war zu riskant, und Marie Tallman war für alle Zeiten im Ruhestand. Sie wartete, während er einen Telefonanruf tätigte.
    »Es tut mir Leid, Madame, aber die Karte wird nicht akzeptiert.« Wahrscheinlich war das Kreditlimit erreicht, dachte sie. Typisch Sa- rah. Leider hatte sie keine Kopie von Sarahs American-Express-Karte dabei, sondern nur ihre eigene.
    »Vielleicht ist sie beschädigt, Madame. Falls Sie eine andere dabei- haben ...«
    Sie wandte sich zu den Eingangstüren um. Sie hatte keine Lust, dies fortzusetzen und auch nur eine weitere Minute länger hier zu bleiben. Sie musste Sarah anrufen. Sie holte ihr Mobiltelefon heraus, dann zö- gerte sie. Der Anruf könnte zu ihr zurückverfolgt werden.
    »Gibt es hier ein öffentliches Telefon?«
    »Aber natürlich, Madame.« Er zeigte ihr, wo sich die Telefon-Nischen befanden. Sie holte die auf Sarahs Namen ausgestellte At&T-Karte heraus und wählte die vereinbarte Notfallnummer. Der entsprechende Apparat klingelte nur dann, wenn es wirklich dringend war, deswegen konnte sie davon ausgehen, dass Sarah sich augenblicklich melden würde.
    Sie meldete sich nicht. Es war fünf Stunden früher in New York, also acht Uhr morgens. Eigentlich sollte Sarah zu

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