Wickelkontakt - Roman
Stiefel nicht anziehen, sondern schmiss sie mir an den Kopf, ihre Jacke dagegen auf den Boden, tobte »nei, nei, nei!«-schreiend durch den Flur, beschloss dann, überhaupt lieber barfuß laufen zu wollen und schmiss die Socken noch der Jacke hinterher. Lächeln, dachte ich, und lächelte. Nicht ausflippen. Ach, dabei würde ich es ihr so gerne gleichtun. Mir Jacke und Schuhe vom Leib reißen und »Neinneinnein!« schreiend durch die Gegend toben, dabei Mobiliar zerstören und Bilder von den Wänden reißen. Aber ich bin ja erwachsen und habe schon gelernt, dass das nicht geht. Dass man das nicht »darf«. Und Maja soll es auch lernen. Also lächle ich und schlucke meine Tränen runter, damit sie sich im Bauch mit meinem Ärger anfreunden.
Mit einem lockenden Mami-Schmoll-Ton versuche ich, mein unbändiges Kind zu beruhigen. »Komm, Schatzi, wir wollen doch los. Andrea wartet schon!« Das hilft. Andrea ist die Apothekerin und steht auf der Maja-Beliebtheitsskala ganz oben. Das liegt daran, dass sie Traubenzuckerbonbons und schöne Tierposter verteilt. Ich steh auf der Liste anscheinend heute ganz unten oder bin gar nicht drauf.
So wie mein Kind sich in der Apotheke aufführt, könnte mancher denken, es sei in der falschen Familie gelandet. Auf einmal strahlt die kleine Furie und lacht und ist wie ausgewechselt. »Dea Bommbomm auf, Dea Kisschen, Dea dücken!«, säuselt Maja, und wieder lächle ich, und Andrea freut sich.
Hilfe, jetzt bin ich schon auf die Apothekerin eifersüchtig. Irgendwann sehr viel später, mit Locken und Ziehen und Zerren und schwachen »Wir wollen doch jetzt Mittagessen«-Ansagen verlassen wir schließlich die Apotheke und stürmen den nächsten Supermarkt – wo Maja wieder sie selbst ist, Ü-Eier aus den Regalen zerrt und schneller als man gucken kann, das Alupapier abreißt.
Der Tag vergeht irgendwie, es regnet, mir erscheint alles grau in grau. Maja zickt und tobt, ich schimpfe und schlucke. Kurz vor Abendbrot räume ich die Küche auf und zähle die Minuten bis achtzehn Uhr. Während ich noch zähle, kommt sie an, zieht an meiner Hose und zeigt mir ein Bild. »Maja malt Mama!«, sagt sie stolz und lacht fröhlich. Es ist ein wirres Krickelkrackel aus schwarzen, grünen und rosa Strichen – für mich das schönste Bild der Welt! Auf dem Bild seien vier kleine Schweinchen, erklärt die stolze Künstlerin, und die hätten jeder ein Eis. Das hat sie für mich gemalt.
Ich freue mich und knie mich hin, um sie fest zu umarmen. Maja küsst mich wie selbstverständlich auf den Mund und schmiegt sich an mich, küsst mich immer wieder ab und lacht. »Mama lieb!«, sagt sie und strahlt mich an. Wie süß sie ist! Ich halte sie fest und mit Müh und Not die Tränen zurück, die sich in meine Augen pirschen. Das ist mein heutiger Sonnenstrahl, mein Moment, der mein Herz berührt und der mich den Rest des Tages vergessen lässt.
Warum gibt es eigentlich so wenige davon? Vielleicht, damit man sie, wenn sie kommen, besser erkennt.
Dieses schicke ich an die Zeitschrift Mütter, erkläre noch mal mein Anliegen und hoffe das Beste.
44
» Nicht pressen, nicht pressen, Sie dürfen noch nicht pressen!«, schrie die Hebamme aufgebracht.
Ich versuchte alles, was in meiner Macht stand, dagegen zu unternehmen, aber es fiel mir viel zu schwer. Maja zeigte jetzt schon einen so unerschütterlichen Lebenswillen und eine Energie, mit der ich später in meinem Leben sicher noch zu kämpfen hatte, und schob sich gegen mütterlichen und ärztlichen Rat einfach selbst auf die Welt. Mit einem riesigen » Plopp« schoss ihr Kopf aus mir heraus, ich schrie ein gellendes » AAAAH«, dann noch zwei Mal kurz gepresst, und schon war es vorbei. Hecheln und Tönen hatte ich während der kurzen Geburt ganz vergessen, nicht mal gebraucht, und der ganze Spuk um Babyköpfe und Gummis von Einmachgläsern war eine geradezu irrwitzige, lächerliche Imitation einer wahren Geburt gewesen. Ich hatte es ohne PDA und ohne Kaiserschnitt geschafft, war unheimlich stolz auf mich, und noch viel stolzer auf mein kleines Mädchen, das sich so tapfer seinen Weg in die Welt gebahnt hatte.
Angefangen hatte es ganz klassisch schon vor drei Tagen mit einem Fehlalarm. Jonas nennt es jetzt liebevoll » Generalprobe«, aber in besagter Nacht, als wir uns durch Schnee und Eis durch die Dunkelheit zu meinem alten Golf kämpften und Jonas noch die Scheiben frei kratzen musste, während ich frierend und meine Wehen veratmend neben ihm stand und ihn
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