Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
sternhellen Himmel abhob.
Nur ein Fenster war beleuchtet, das in der oberen linken Ecke des mit vielen Erkern ausgestatteten Bauwerks. Es strahlte ein gedämpftes Gelb aus und ließ den Platz wie auf dem Umschlag eines Horrorromans erscheinen. Das Licht vor dem Eingang brannte, fast so, als würde er erwartet.
Er war schon daran vorbeigefahren, aber niemals im Haus gewesen. Trotzdem hatte er das Gefühl, es zu kennen, nachdem er eine Woche zuvor eine Doppelseite im New York Times Magazine gesehen hatte, wo in einer Serie über alte Herrenhäuser am North Shore auch über das Nash-Haus berichtet wurde.
Alan konnte das Salzwasser riechen und das sanfte Plätschern am Long Island Sound hören, als er mit seiner schwarzen Tasche in der Hand auf die Haustür zuging und nach der Türglocke langte.
Er zögerte. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen in Anbetracht von Sylvias Ruf als lebenslustige Witwe und der Art, wie sie fortwährend mit ihm flirtete. Er wusste, dass das größtenteils Spaß war, weil sie ihn gern in Verlegenheit brachte, doch hatte er auch immer das Gefühl, dass hinter der Oberfläche etwas Wahres sein musste. Das erschreckte ihn am meisten, denn er wusste, dass er auf sie ansprach. Er konnte nichts dagegen tun. Sie hatte etwas an sich – über ihr gutes Aussehen hinaus –, das auf ihn wirkte, ihn anzog. Wie jetzt. War er hier, um Jeffy zu sehen oder sie?
Es war ein Fehler. Aber jetzt war es zu spät, um noch umzukehren. Wieder langte er nach der Glocke.
»Erwartet die Missus Sie?«
Bei dem Klang der Stimme direkt hinter sich zuckte Alan zusammen, wirbelte herum, und legte mit einem erschreckten Aufkeuchen die Hand aufs Herz.
»Ba!«, rief er, als er Sylvias vietnamesischen Fahrer und »Mädchen für alles« erkannte. »Sie haben mich fast zu Tode erschreckt!«
»Es tut mir leid, Doktor. Ich habe Sie von hinten nicht erkannt.« Ba war über einen Meter achtzig groß. Sein glattes schwarzes Haar wurde von Grau durchzogen, aber seine Züge verrieten nichts über sein Alter. Er konnte vierzig, genauso gut aber auch sechzig sein. Im Licht der Glühbirne über dem Hauseingang wirkte seine Haut noch fahler und seine Augen und Wangen noch eingefallener als sonst.
Die Haustür öffnete sich, und Alan wandte sich um und sah den überraschten Ausdruck von Sylvia Nashs schönem, fein geschnittenen Gesicht. Sie trug einen sehr bequem aussehenden karierten Flanellmorgenrock, der sie vom Kopf bis zu den Füßen bedeckte. Aber er verdeckte nicht ihren Busen, der sich unter dem weichen Stoff wölbte.
»Alan! Ich wollte nur mit Ihnen sprechen. Ich habe nicht erwartet, dass Sie …«
»Hausbesuche sind nur etwas aus der Mode gekommen«, antwortete er. »Ich mache jedenfalls noch welche. Zufällig war ich mit dem Wagen in der Nähe, als ich über den Pieper die Nachricht erhielt. Darum dachte ich, es wäre einfacher, wenn ich vorbeikomme, um mir Jeffy anzusehen. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Beim nächsten Mal werde ich Sie auf alle Fälle vorher anrufen. Vielleicht wird mich Ba dann nicht …«
Seine Stimme verlor sich, als er sich umdrehte. Ba war nicht mehr da. Machte dieser Mann überhaupt keine Geräusche, wenn er sich bewegte? Sylvia bedeutete ihm, näher zu treten.
»Kommen Sie rein.«
Er betrat das riesige, mit Marmorboden und pastellfarbenen Tapeten ausgestattete Foyer, das von einem großen Kristalllüster hell erleuchtet wurde. Direkt ihm gegenüber, zur Rechten hin, führte eine breite Treppe nach oben.
»Was ist mit Ba?«
»Er hat mich fast zu Tode erschreckt. Warum schleicht er so in den Büschen herum?«
Sylvia lächelte. »Oh, ich glaube, er macht sich Sorgen, dass dieser Artikel in der Times das Interesse aller Einbrecher im weiten Umkreis geweckt hat.«
»Das ist wohl berechtigt.« Alan erinnerte sich an die Fotos von dem eleganten Wohnzimmer, dem reich verzierten Silber-Besteck im Esszimmer, dem Wintergarten mit den Bonsais. »Wenn dieses Haus in Wirklichkeit nur halb so schön ist wie in der Zeitschrift, dann ist es sicherlich ganz schön verlockend.«
»Danke«, sagte sie mit einem gequälten Lächeln. »So etwas hat mir jetzt noch gefehlt.«
»Entschuldigung. Aber Sie haben doch eine Alarmanlage, oder nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur einen einäugigen Hund, der bellt, aber nicht beißt. Und natürlich Ba.«
»Reicht das aus?«
»Bisher, ja.«
Vielleicht reichte Ba aus. Alan schauderte bei dem Gedanken, ihm im Dunkeln zu begegnen. Er sah aus wie ein
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