Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
Tannen. Rafał und Natalie, die sich wie besessen küssen. Ich höre ein Stöhnen, Saugen und Schmatzen, das ich lieber nicht hören würde.
»Uah …«, rutscht es mir heraus, bevor ich mich schnell umdrehe und verschwinde.
Sieh an, Rafał und Natalie. Ich kann mir nicht helfen, aber bei dem Gedanken an das neue Paar muss ich schmunzeln. Wird Natalie nicht traurig sein, wenn Rafał bald nach Norwegen geht? Was soll’s, darüber kann man sich Gedanken machen, wenn es so weit ist. Was immer auch passiert, ich werde für Natalie da sein, wenn sie eine Schulter braucht, an der sie sich ausweinen kann.
»Er ist beschäftigt«, sage ich zu Mutter. » Ich kann Feuerholz holen.«
Als die Sonne aufgeht, erwachen alle wieder zum Leben. Nur der Trinker Sixten ist mit einem seligen Lächeln auf denLippen und zwei Flaschen Wodka in den Armen in der grünen Badewanne eingeschlafen.
»Da seid ihr ja«, sagt Mutter, als Rafał und Natalie auftauchen.
Mit geröteten Gesichtern kichern die beiden nur. Es sieht so aus, als könnten sie unmöglich die Hand des anderen loslassen.
»Ich wollte Natalie den Garten zeigen«, sagt Rafał.
»Das war lieb von dir«, sagt Mutter und wendet sich lächelnd wieder der kleinen Kochplatte zu, die Pan Maciej mithilfe eines Stromgenerators in Gang gebracht hat.
Genau da kommt unsere Nachbarin Nanna in den Garten gestürzt.
»Stellt euch vor, was passiert ist«, sagt sie. »Bei mir im Haus ist eingebrochen worden. Eingebrochen! Und wisst ihr, was das Komische ist: Die Diebe haben nur meinen Zucker mitgehen lassen. Habt ihr so was schon mal gehört?«
»Was für eine Geschichte!«, höre ich Mutter sagen. »Komm, setz dich, du brauchst erst mal was zu essen.«
Ohne Nannas Antwort abzuwarten, drückt Mutter sie auf einen Stuhl und stellt einen großen Teller vor sie hin.
Was mich betrifft, werde ich wieder die Elektrizitätswerke anrufen müssen. Aber nicht gleich. Und dann überlege ich, dass das, was ich auf den Zettel geschrieben habe, vielleicht noch etwas anderes bedeutet – nicht dass ich aufhören muss, alles zu akzeptieren, sondern dass ich aufhören sollte, andere Menschen ändern zu wollen.
»Alicja«, sagt jemand hinter mir.
Ich drehe mich um und sehe Ola Olsson. Er hat seine Kutscheruniformgegen Jeans und T-Shirt getauscht und ist mit dem Fahrrad gekommen.
»Ola Olsson«, sage ich und lächle.
Er lächelt zurück. Die Sonne strahlt schon durch die Bäume, es könnte noch ein schöner, warmer Tag werden.
»Alicja! Ola!«, ruft Mutter. »Kommt Suppe essen!«
Ich wende mich wieder Ola zu.
»Sollen wir zusammen polnische Suppe essen?«, frage ich.
»Unbedingt«, antwortet er.
Arm in Arm gehen Ola und ich zu den anderen.
Informationen zum Buch
Warum um Himmels willen können die Mitglieder ihrer Familie nicht so sein wie alle anderen? Alicja wäre doch am liebsten eine ganz durchschnittliche 15-Jährige. Geht aber nicht, weil Alicjas Mutter Polin ist. Das sagt eigentlich schon alles – wenn man mit polnischen Müttern vertraut ist: Mit absoluter Treffgenauigkeit und pfeilgerade schaffen sie es, zu jeder Gelegenheit das zu tun, was ihren pubertierenden Töchtern wahlweise Scham, Zorn oder blanke Verzweiflung ins Antlitz treibt. Das fängt beim Essen an und hört bei Alicjas Freunden noch lange nicht auf.
In alles mischt sich die Mutter ein. Als Alicja nach einem ihrer neuerlichen Verkupplungsversuche einen Tobsuchtsanfall erleidet und mit Tellern und Koteletts um sich schmeißt – der krönende Höhepunkt einer total verrückten Hochzeit übrigens –, geht ihr ein Licht auf: Nur wer sich wirklich liebt, kann sich so maßlos auf die Nerven gehen.
Informationen zur Autorin
Emmy Abrahamson wuchs u.a. in Moskau auf, sie studierte in London und Manchester und arbeitete als Schauspielerin in Amsterdam und Wien. Heute lebt sie in Südschweden. ›Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt‹ ist ihr erstes Buch, weitere werden in der Reihe Hanser folgen.
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