Wie ausgewechselt
Geburtstag bekommt Rudi Assauer von der Deutschen Rentenversicherung einen Brief. Er kann kaum fassen, was er da liest. Damals sagt er in einem Interview:
»Die zahlen mir demnächst monatlich Kohle. Unglaublich, aber es ist schon so weit. Früher haben viele Bergleute hier im Pott dieses Alter gar nicht erreicht, sind vorher an Staublunge gestorben. 65 – das ist schon ein ganz ordentliches Alter.«
2014 wird Assauer 70 Jahre alt. Doch seit er die Gewissheit hat, seinen Lebensabend mit der Diagnose Alzheimer verbringen zu müssen, denkt er mehr denn je über seine Zukunft nach.
»Man kann es doch sowieso nicht stoppen. Es wird ja nicht besser, eher schlechter. Ich muss mich damit abfinden. Es wird nie wieder so sein, wie es einmal war. Und daher stelle ich mir ständig Fragen: Was wird nun aus mir? Wie geht es weiter? Wie entwickelt sich die Krankheit step by step? Was kommt jetzt noch alles auf mich zu? Was müssen meine Familie und meine Freunde noch alles ertragen? Können wir noch ein paar Jahre anständig miteinander leben? Muss ich irgendwann in ein Krankenhaus, in ein Pflegeheim? Irgendwann wird es auch so weit sein, dass meine Tochter mir nicht mehr helfen kann.«
Eine Pflegekraft soll sich um Rudi Assauer kümmern, zunächst ambulant. Später einmal soll sie eventuell als Rund-um-die-Uhr-Betreuung miteinziehen. Wird auch die häusliche Pflege irgendwann einmal nicht mehr ausreichen, muss er in ein Pflegeheim – wie sein Bruder. Doch dieser letzte Schritt soll so lange wie möglich hinausgezögert werden. Daher finden weiter Sitzungen in der Memory Clinic in Essen statt, etwa einmal im Monat. Zu Gesprächen, die sein Erinnerungsvermögen schulen sollen, kommen ehemalige Weggefährten oder frühere Spieler aus dem Kader der Schalker Eurofighter vorbei. Andreas Müller etwa oder Huub Stevens. Natürlich auch sein Kumpel Werner Hansch, die ehemaligen Spieler Youri Mulder, Gerald Asamoah, Jens Lehmann, Ebbe Sand. Parallel verfolgen Klinikleiter Professor Hans Georg Nehen und sein Team weiter das Ziel, den Abbau der geistigen Leistungen auch mithilfe der verabreichten Medikamente zu bremsen.
»Ich möchte nicht ständig diese Tabletten nehmen, ich muss aber. Schon allein deshalb ist mir völlig klar: Ich werde nie mehr ein vernünftiges Leben führen, das geht nicht. Andere gehen in meinem Alter erst in Rente. Und was mache ich? Ich wollte ursprünglich auch im fortgeschrittenen Alter arbeiten, so lange wie möglich den Job weitermachen. Solange es eben geht. Dann wollte ich ein schönes Leben führen, die letzten Jahre genießen.
Die Tabletten verzögern ja nur den Verfall. Ich wäre froh, wenn der Verfall jetzt nicht mehr weiterginge. Dann wäre ich der glücklichste Mensch der Welt. Auch wenn ich weiß: Mein Hirn, die Rübe da oben, funktioniert nicht mehr. Das ist bitter, einfach nur bitter. Wenn ich jetzt 80 Jahre alt wäre, wäre das ja okay. Aber ich bin mit meinem Alter viel zu jung für diese Krankheit.«
Für die Angehörigen, die Freunde und die Exspieler unter dem Manager Assauer ist eine Begegnung zum Gespräch bei Kaffee und Kuchen in der Memory Clinic zwar ein schönes Wiedersehen, aber auch eine erschreckende Erfahrung. Besonders, wenn man sich lange Zeit nicht gesehen hat, trifft es die Besucher hart, den alten Weggefährten in diesem Zustand zu erleben. »Es war eine angespannte Situation, wie ein Mensch mit so einer Krankheit einem begegnet und wie man ihm selbst gegenübertritt «, erzählt Exnationaltorhüter Jens Lehmann nach dem Treffen Anfang September 2011. »Für einen Laien in Bezug auf die Krankheit wie mich ist es schwierig, damit umzugehen. Man muss einfach Verständnis dafür aufbringen.« Insgesamt zehn Jahre hat Lehmann ab 1988 bei Schalke gespielt, darunter von 1993 bis 1998, als Assauer Manager bei den Königsblauen war. Die Begrüßung fällt sehr herzlich aus. »Man weiß ja nie, wie fremd man demjenigen dann ist. Aber ich hatte das Gefühl, dass er mich erkannt hat. Diese Begegnung war vertraut«, beschreibt Lehmann seine Emotionen an jenem Tag. »Und ich war überrascht, wie gut er beieinander ist, wie gut er sich an manche Dinge erinnern kann. Wenn es so bliebe, wäre es ein Erfolg. Optisch ist ja kaum eine Veränderung auszumachen – Kompliment!«
Die beiden witzeln über die gemeinsame Zeit bei Schalke, erinnern sich an manche Anekdote. Sie sprechen etwa über Jiri Nemec, den Mittelfeldstrategen aus Tschechien, der so effizient und ökonomisch mit seiner
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