Wie ausgewechselt
neuen Leben mit der Krankheit beginnt ohne Zwang. Keine Termine, keine Verpflichtungen, kein frühes Aufstehen mehr wie früher als Manager, als er oft schon um sieben oder acht Uhr in der Schalker Geschäftsstelle war. Doch ein Ritual bleibt: die morgendliche Lektüre. Die Bild -Zeitung ist Pflicht, außerdem die WAZ , je nach Lust und Laune auch andere Blätter. Früher ist Assauer in sein Auto gestiegen und rasch zur Tankstelle gefahren. Hat meist die Bild noch im Auto durchgeblättert und ist erst dann zum Bäcker, Brötchen holen. Jetzt kann er das alles nicht mehr. Bis vor Kurzem hat das alles noch seine Frau Britta erledigt. Doch Assauer und die ehemalige Telefonverkäuferin und Verwaltungsangestellte eines Funkhauses in Freiburg haben sich im Dezember getrennt. Beide waren der enormen Belastung, der Eheleute im Zuge der Alzheimererkrankung des einen Partners ausgesetzt sind, nicht mehr gewachsen. Bettina, die ältere Tochter, kümmert sich nun um ihren Papa, hat ihn vorübergehend bei sich in ihrer Wohnung in Herten aufgenommen. Gemeinsam bestreiten sie nun den Alltag.
»Statt früher mit den beiden Hunden gehe ich jetzt eben so raus, jeden Morgen etwas spazieren – bei Wind und Wetter. Da komme ich an die frische Luft, das tut mir gut. Leider ist das im Grunde mein einziger Sport in Anführungszeichen. Diese Trimmdichgeräte – sich da auf so einen Fahrradergometer zu setzen, das bringt doch nichts mehr. Das ist doch kein richtiger Sport. Fußball kann ich auch nicht mehr spielen. Da macht der Rücken nicht mehr mit. Ich habe in den letzten Jahren an einem Bandscheibenvorfall laboriert, daher über ein Jahr lang eine Cortison-Behandlung mit Spritzen bekommen. Ab und zu kribbelt es in den Füßen, in den Zehen. Daher muss ich Stützstrümpfe tragen und immer mal den Onkel Doktor besuchen.«
Nach dem Frühstück samt Zeitunglesen geht es ins Büro. Die Räumlichkeiten sind Teil einer Steuerkanzlei in einem großen Bürohaus verschiedener Firmen, nicht weit vom Hauptbahnhof Gelsenkirchen entfernt. Der ganz normale Papierkrieg: die Post mit den Rechnungen, den Einladungen, den gesamten Mailverkehr – Frau Söldner, seine Sekretärin, arbeitet alles ab. Da sich Assauer aufgrund der Krankheit aus der Öffentlichkeit etwas zurückgezogen hat und die Anfragen geringer werden, ist das Büro nur noch vormittags besetzt. Zum 30. April 2012 soll es ganz geschlossen sein.
»So etwa bis mittags, auch mal bis 13 oder 14 Uhr, bin ich im Büro – je nachdem, was ansteht und zu tun ist. Ganz praktisch: Freunde haben in der Nähe eine Pizzeria, da gehe ich meist hin. Weil: Hunger ist Hunger, da kann ich dann nicht warten. Zurück in den eigenen vier Wänden, mache ich nach dem Essen oft ein Nickerchen, denn: Müde ist müde.«
Assauer hat kein richtiges Zeitgefühl mehr, obwohl er sehr oft nach der Uhrzeit fragt. Die »Arbeit« im Büro gibt ihm und seinem Tag eine Struktur, einen Rhythmus. Er hat eine Aufgabe. Am Nachmittag wird es dann ruhiger, und er kann sich zu Hause entspannen.
»Früher habe ich gerne Kreuzworträtsel gemacht. Ich habe dann Britta gefragt, wenn ich was nicht wusste. Sie hat die Lösungen eingetragen und mir geholfen. Ein bisschen die Birne schulen, das war gut für mich. Jetzt macht mir das keinen Spaß mehr.«
Er kriegt es schlicht nicht mehr hin. Nun läuft der Fernseher, fast immer. Ein ständiger Begleiter als dauerhafte Geräuschkulisse samt Bewegtbildern. Als wäre es ein lebendiges Gemälde. Eine Ablenkung vom eigenen Leben.
»Ist ein riesengroßes Ding, dieser Fernseher. Wenn ein interessantes Spiel ansteht, setze ich mich auf die Couch und schaue mir die Geschichte an. Gott sei Dank läuft ja heutzutage immer auf irgendeinem Kanal Fußball. Ein Spiel pro Tag. Das hat es früher nicht gegeben. Und diese schnellen Wechsel zwischen den Stadien, wenn Bundesliga läuft. Früher undenkbar. Schnell hin- und hergeschaltet wurde nur bei den Konferenzen im Radio. Heute drückst du auf den Knopf der Fernbedienung – und plötzlich bist du, eben noch in München, dann wusch in Hamburg. Zu meiner Zeit gab’s das nicht.«
Ständig Fußball – ob nachmittags oder abends. Ganz selten kommentiert er, was er sieht. Manchmal sitzt Assauer nur da, ohne etwas zu sagen. Ob beim Fernsehen, im Auto oder beim Frühstück. Ganz lange. Wie versunken in seiner Welt. Vor dem Fernseher schläft er dann hin und wieder ein. Seine Tochter muss auf diesen Moment warten. Schließlich kann sie nicht einfach vor ihm
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