Wie ausgewechselt
gespielt wird. Aber dann habe ich schnell meine Meinung geändert. Jürgen Möllemann, unser Aufsichtsratsmitglied, versuchte, seine Kontakte zur Politik zu nutzen, um das Spiel verschieben zu lassen. Es folgten hektische Telefonate. Mit der UEFA in der Schweiz, mit den Delegierten vor Ort in Gelsenkirchen. Möllemann rief beim Bundeskanzleramt und im Innenministerium an. Ich habe den DFB und die UEFA kontaktiert und gesagt: ›Unter diesen Umständen können wir unmöglich spielen.‹ Ich wollte das Spiel sofort absagen, ohne Rücksicht auf die Vorschriften der UEFA, aber die hatten das letzte Wort. Denn es ging ums Geld, um die bestehenden TV-Verträge, um Werberechte. Man hätte schon am Nachmittag absagen müssen, am Abend wenige Stunden vor dem Spiel ging das nicht mehr, da waren die Leute ja schon auf der Anreise. Und wenn das Stadion erst mal geöffnet ist und 60 000 Zuschauer da sind, handelt es sich auch um eine Sicherheitsfrage, wenn die alle enttäuscht nach Hause fahren.«
Die Schalker Mannschaft macht sich also mit dem Bus auf den Weg in die Arena. Auf der einstündigen Fahrt gibt es nur ein Thema: den Terroranschlag von New York. Keiner will spielen, aber sie müssen. Bis zuletzt hoffen alle auf eine Absage. Die UEFA ordnet in allen Stadien halbherzig eine Schweigeminute an, lässt den Match-Countdown mit Musik und Werbung streichen.
»Ich weiß noch, dass wir alle das Spiel wie durch einen Schleier wahrgenommen haben. Unsere Jungs waren wie gelähmt. Die Athener dominierten das Spiel, kickten, als wäre nichts geschehen. 0 : 1, 0 : 2 – Ende. Deren Spieler und Fans haben lautstark nach den Toren gejubelt. Hinterher erfuhr ich, dass die Griechen die schrecklichen Bilder aus New York noch nicht gesehen hatten.«
Schalke ist bedient. Was ein Festtag werden sollte, wird ein Tag der Trauer und des Zorns. Die erste Champions-League-Saison beginnt mit einer Heimpleite. Fünf weitere Spiele später scheidet Schalke bereits nach der Gruppenphase aus. Huub Stevens sagt im Rückblick: »Ich war sauer, dass wir in einer Situation spielen mussten, in der es um die ganze Welt ging – und nicht um Fußball.«
»Während des Spiels gegen Panathinaikos dachte ich mir: Leute, ihr seid doch bekloppt. Ich wollte den zuständigen Herren am liebsten an den Kragen – was für eine weltfremde Entscheidung. Diese Machtlosigkeit war das Schlimmste. An diesem schrecklichen Tag konntest du keinen Gedanken an Fußball verschwenden. Die Atmosphäre im Stadion war gespenstisch. Dass wir das Spiel 0 : 2 verloren haben, war zunächst nebensächlich. Aber letztlich hat es uns um das Weiterkommen in der Gruppe gebracht. Am nächsten Tag hat die UEFA dann doch alle Spiele abgesagt – eine späte, für uns zu späte Einsicht.«
12. Meine Frauen, meine Zukunft
»Bloß nicht ins Pflegeheim«
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»Ich weiß nicht, wie die Leute reagieren, wenn es dann in der Welt ist und alle wissen: Der Assauer ist dement. Der Alte hat Alzheimer. Es sind ja bisher nur einzelne Leute eingeweiht. Meine Familie, meine engsten Freunde, meine Sekretärin, die Ärzte. Aber was ist mit all den anderen? Werden sich die Leute drüber lustig machen oder Verständnis haben? Das Problem an der ganzen Geschichte ist doch: Will man das? Will man, dass einen die Leute mitleidig anschauen und sagen: Oh je, Herr Assauer oder Mensch, Rudi – das ist aber schrecklich, das tut mir aber leid. Und dann diese Blicke! Dieses Tuscheln! Mitleid ist das Schlimmste. Für mich war trotzdem irgendwann klar: Es muss raus.
Das Versteckspiel sollte ein Ende haben. Bisher waren es ja nur Vermutungen oder Gerüchte, wie es mir geht. Leute lachen mich hinter vorgehaltener Hand aus, flüstern sich etwas zu, wenn sie mich sehen. Oder reden dummes Zeug, verbreiten Unwahrheiten. Sie sagen, jetzt hat er wieder gewackelt oder ist getorkelt, der hat doch sicher wieder gebechert und ist voll. Ich verstehe das nicht, das tut mir weh. Ich bin kein Alkoholiker. Seit Januar 2011 trinke ich keinen Tropfen mehr. An Silvester zuvor gab es die letzten Gläschen Weißwein. Danach war Feierabend. Seitdem gibt es nur noch alkoholfreies Weizenbier, Wasser oder Cola light sowie Tee oder Kaffee.«
Rudi Assauer versucht, so gut es geht, mit Alzheimer zu leben. Das Outing mit diesem Buch soll eine Erleichterung für ihn sein, und es soll anderen Demenzpatienten Mut machen, sich nicht zu verstecken, sich nicht zu verkriechen.
Ein typischer Tag in seinem
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