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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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laufen, wenn sie zu meinen Urgroßeltern wollen. Nicht, weil sie zu arm für ein Auto sind – arm sind sie zwar auch, aber es gibt bei ihnen keine Straße, auf der irgendetwas fahren könnte. Die erwachsenen Pešićs sind alle über zwei Meter groß, auch die Frauen und die Alten. Ich war einmal vor langer Zeit bei ihnen zu Hause. Ich erinnere mich an die säuerliche Ziegenmilch, an Holzspielzeug, und dass ich mich fragte, warum sie nicht höhere Decken bauen, wenn sie doch alle so riesig sind. Wird bei den Pešićs oder bei uns ein Kind geboren oder heiratet jemand, besucht man einander. Man ist sich Patenzeuge und Taufzeuge. Meine Mutter sagt, dass ich keinen Patenbesuch von den Pešićs bekam. Das habe etwas mit ihr zu tun und mit ihrer Seite der Familie. Nichts Schlimmes, sagt meine Mutter und fragt: wärst du gern getauft worden?
    Was ist das?, antworte ich.
    Na siehst du, sagt sie.
    In der Schlange vor dem neuen Klo tänzelten die Nachbarn vor Druck und aus Vorfreude. Ur-Opa durfte als Erster. Er trug seinen schwarzen Gehrock, klopfte sich auf den Bauch und prahlte lauthals: vier Tage habe ich nicht! Tam-tam, tam-tam-tam, klapperte er Anfeuerungsrhythmen mit dem Klodeckel.
    Einige, mich inklusive, klatschten mit. Beste Stimmung vorm Innenklo, sechzehn Zuschauer, eine Fünf-Mann-Musikkapelle,
perfektes Klowetter, moderierte ich. Ur-Oma reichte Ur-Opa eine Schnapsflasche, feierlich, als übergebe sie ihm die Stafette der Jugend. Er setzte der Flasche das Schnapsglas wie einen Hut auf und blieb fünfundvierzig Minuten sitzen. Draußen begannen die Nachbarn und die Verwandten laut durcheinander zu reden, um nicht alle Geräusche hören zu müssen, die im neuen Klo tobten. Wenn er nicht stöhnte und schrie und wie ein Moped ratterte, sang Ur-Opa. Ich legte das Ohr an die Tür, um seine tiefe Stimme hören zu können. Wie die Tür vibrierte! Mein Ur-Opa klang wie die dickste Saite von einem Bass! In seinen Liedern sprang jemand namens Kraljević Marko auf einem Wein trinkenden Pferd über die Drina und metzelte Türken. So viele, ich kam mit dem Zählen gar nicht nach. Spannender als die armen Schurkentürken fand ich aber die Frage, ob alle Wein trinkenden Pferde fliegen konnten. Als Ur-Opa nach fünfundvierzig Minuten herauskam und die Hand sieghaft zur Faust ballte, war der Schnaps halb leer und das Gläschen für immer verschwunden.
    Die Spülung, du Schaf!, lobte ihn Ur-Oma laut und ernst, sah in die Schüssel und bekreuzigte sich nach sechzig Jahren zum ersten Mal. Dann wurde der Rest der guten Birne getrunken und die Fünf-Mann-Musikkapelle spielte einen Walzer. Anschließend eröffnete sie den Tanz mit Zigeunermusik, die keinem gefiel, weil das Schnelle zu früh kam. Wir können doch noch liegen, ohne uns festzuhalten, ihr Dilettanten!, rief Ur-Opa und konnte nicht aufhören zu tanzen.
    Jetzt durften auch die Nachbarn das neue Klo ausprobieren, die Männer zuerst. Ich habe Herzklopfen, sagte jemand, bevor er die Tür hinter sich schloss. Radovan Bunda war der Letzte in der Schlange. Immer ungehaltener grummelte er vor sich hin und hielt sich vorne und hinten fest. Kurz bevor er an die Reihe kam, brüllte er: ja, wie quält ihr einen Weithergereisten, ihr neumodischen Vagabunden!, knöpfte sich im Laufen eilig die Hosen auf und stürmte Richtung Außenklo.

    Welches Außenklo?, muss sich Radovan vor Ort gefragt haben – zwei Ochsen hatten doch das Häuschen aus der Erde gerissen wie Unkraut. Ich brauch keine Schüssel, keine Spülung und keine Kacheln! Ich brauch nicht mal ein Loch!, wird Radovan später auf die Freiheit anstoßen.
    Das alles fällt mir im Innenklo ein, während ich dreißig Minuten, fast so lang wie Ur-Opa, furchtbar an meinem Pflaumenweltrekord leide. Endlich draußen und schon habe ich Marschall Roosters Fingercolt im Rücken – Tischdecken schrubben, Rothaut!, befiehlt Ur-Oma, die mir an der Tür aufgelauert hat.
    Ich fahre lustlos mit dem Tuch über die Flecken und frage sie, warum Onkel Miki gefeiert wird, wenn er doch weggeht. Ich würde lieber feiern, wenn er aus der Armee zurückkommt.
    Gelbe und an den Spitzen braune Zähne hat Ur-Oma, sie lacht und nickt: ja, ja. Das da, deutet sie auf einen grünlichen Klumpen, das ist Kryptowitz – Kryptonit auf Sliwowitz. Das kriegst du nicht weg. Gab zwar einen anständigen Batzen Gold, aber auch einen tüchtigen Gestank. Ur-Oma zwinkert mir zu und nimmt den Finger aus meinem Nacken, um sich die Augenklappe zurechtzurücken.
    Über Opa

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