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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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quietschende, blutende Ferkel gestürzt hatte. Komm geküsst, komm geküsst, und die laute Trompete
und die singende Familie und niemand da, der Nataša einen Tritt gibt. Ich weiche zurück, schon mit dem Rücken an den Beinen meiner Mutter, als es das Gebrüll gibt. Es gibt eine brüllende Männerstimme und plötzlich keine Musik mehr. Es gibt keinen Gesang. Es gibt eine Stille.
    Nataša erstarrt neben mir. Wir spähen Kopf an Kopf unter der Tischdecke: es gibt Onkel Mikis besten Freund Kamenko zu sehen, er steckt seine Pistole in die Trompete und brüllt, dass sich seine Wangen um zwei wütende Gesichter röter färben und sein Kopf um zwei Köpfe breiter schwillt: was soll das hier? So eine Musik in meinem Dorf! Sind wir hier in Veletovo oder in Istanbul? Sind wir Menschen oder Zigeuner ? Unsere Könige und Helden sollt ihr besingen, unsere Schlachten und den serbischen Großstaat! Miki geht morgen in die Waffen und ihr stopft ihm am letzten Abend mit diesem türkischen Zigeunerdreck die Ohren?
     
    Ein Spanferkel zu fangen, ist nicht einfach! Weil Schweine schnell sind und gut in den Kurven liegen. Und weil Schweine mitdenken!, überraschte uns mein Vater zu Beginn des Festes mit einer Rede, der längsten, die wir alle je von ihm gehört haben. Das Schwein sieht das gewetzte Messer und rechnet zwei und zwei zusammen. Es sagt sich: in Ordnung, jetzt aber nichts wie weg hier. Hat das Schwein etwa eine Vision?, fragte mein Vater und sah in die Runde. Seit Jahren findet es keinen Ausweg aus seinem Gehege, warum sollte es in den nächsten zwanzig Sekunden anders sein? Die Schlächter sind schon zu riechen. Panik und Instinkt wohnen im Schweinekopf Tür an Tür. Im gemeinsamen Garten blüht spärlich das Mitdenken: eine helle Blume für die hellen Momente ! So eine Blume pflückt das Schwein, es quiekt und prescht los! Der letzte Schlächter hat das Tor hinter sich noch nicht geschlossen. Der letzte Schlächter ist Bora. Er sieht sich den Tunnel seiner Beine an und fragt: war das etwa das Schwein? Ja, war es, mein Bora, war es, und das Schwein rauscht auch schon über den Hof und raus auf die Wiesen.
Wir hinterher, das entfesselte Tier galoppiert über die Wiesen in die Freiheit! Und wisst ihr was? Einem so raffinierten Schwein, einem so schnellen und eleganten Schwein, einem Schwein, das eine Vision hat, gönne ich die Freiheit! Raus aus der kollektiven Stumpfheit und dem Stallmief und ab in die Individualität!, rief mein Vater und breitete die Arme aus. Vor dem Schwein der Wald mit den wilden Kollegen, darüber die Berge und hier – unsere Wiesen: ein gesünderes Grün hat nur die Drina, man möchte auf die Knie gehen und Gras fressen. Das Schwein quiekt, und ich sage euch, das ist der reinste Freudenruf! Das Schwein bequiekt seine Revolution! Bora bleibt als Erster stehen, ist er überhaupt hinterhergelaufen? Ich gebe es auch bald auf, nur Miki rennt weiter. Mein kleiner Bruder Miki, sagte Vater und sah zu der Stelle, wo Miki saß. Der wird ja auch Soldat, das merkt man ihm an, das Schwein hat fünfzig, vielleicht sechzig Meter Vorsprung, aber Miki will davon nichts wissen und schreit, dass man es über die Wiesen, in den Wald und hoch in die Berge hört: davon will ich nichts wissen! Gerade noch in List und in Geschwindigkeit unschlagbar, stoppt das Schwein plötzlich. Es dreht seinen Kopf zu meinem kleinen Bruder. Was ist das jetzt? Das Schwein steht da und guckt zu den Bergen, zu Miki, zu den Bergen, zu Miki. Und erst als er es fast eingeholt hat, rast es wieder los, aber nicht mehr zum Wald in die Freiheit, sondern zurück in den Hof. Es knallt zwischen Stall und Scheune und bleibt hinten, wo es enger wird, stecken. Den Rest habt ihr ja gesehen, nur mit der Kabelrolle und dem Traktor konnten wir es entkorken.
    Mein Vater hob sein Glas. Mein Vater, der Schlächter, rief mit glasigen Augen: auf meinen Bruder! Alle stießen auf Miki an. Ein Spanferkel zu schlachten ist kein Spaß!, rief Vater. Weil Schweine mitdenken, mein Bora hier aber eher nicht. Weil es Bora nicht mit der Kehle, sondern unbedingt mit dem Herzen machen wollte. Und weil er vergessen hat, Petak anzubinden. Dabei kannst du beim Schlachten nur zwei Fehler machen: vergessen, den Hund anzubinden, der durchdreht,
wenn er das ganze Blut riecht, oder den Stich daneben setzen, so dass auch das Vieh durchdreht und eine Ewigkeit braucht, bis es krepiert.
    Bis der Schmerz so groß wird, dass man ihn mit diesem Leben nicht mehr aushält, stellte ich mir

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