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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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Huhn und diesen Trafikanten erklärt. Er ließ den Strauß fallen, die Tasche auf den Strauß. Noch hatten Mutter und Bogoljub uns nicht bemerkt. Vater führte seine Schiedsrichterpfeife zum Mund und pfiff. Die beiden erschraken, Mutter biss die Zähne zusammen, Bogoljub brüllte auf vor Schmerz. Sie machte sich vom Trafikantenschoß los, wischte sich über den Mund und taumelte auf Vater zu. Gott hilf mir, Milenko!, flehte sie mit Strähnen in der Stirn und riss Omas gehäkelte Decke vom Tisch, um sich zu bedecken. Die Blumenvase kippte und das Wasser ergoss sich über die Tischplatte, Blumen sind Blumen – Rosen aus Bogoljubs Trafik.
    Moment mal, murmelte Vater und sprang auf sie zu. Kraftvoll streckte er den Arm aus: Offensivfoul. Mit der Faust deutete er ihr – bis dorthin und keinen Schritt näher. Auf dem
Boden neben Bogoljubs Füßen lagen zwei Bücher. Moment mal, liegen dort Marx und Hemingway nebeneinander?
    Bogoljub Balvan riss die Augen auf. Maria, Mutter Gottes !, winselte er, trippelte zwischen »Das Kapital« und »Der alte Mann und das Meer« und zog an seinem Reißverschluss. Heiligemuttergottes, piepste er und pustete auf die immer noch schmerzende Stelle im Schritt, Maria, mein Seelenheil, mach, dass er nicht klemmt!
    Aber der Reißverschluss klemmte, also verfluchte Bogoljub den Namen der Gottesmutter, der heiligen Gottesmutter aller Reißverschlüsse und ließ Vater keine andere Wahl, als loszudonnern, dass es die ganze Nachbarschaft und die halbe Stadt hören und niemals vergessen würde: Fick doch die Sonne, Dragica! Hab ich uns das Haus mit diesen meinen Händen hingestellt, damit du darin herumhurst? Hab ich uns das Regal gezimmert und die Bücher ausgesucht, damit sich ein Trafikantenarschloch am Genossen Marx und an Mister Hemingway reibt? Lass sofort die Tischdecke los, hörst du! Den Fleiß deiner eigenen Mutter beschmutzt du! Und du, Bogoljub, kennen wir uns seit den Pionieren, damit du in meinem Haus den Pionierschwur der Freundschaft brichst und mich beschämst und erzürnst, indem du meiner Dragica den Mund stopfst, sie zu einer Ehebrecherin machst? Hab ich dir damals das Geld für die Trafik geliehen, ohne einen einzigen Dinar Zins zu verlangen, damit du in meinem Haus reaktionär und gläubig wirst und dich mit deinem Schwanz in solche Schulden stürzt, die du in diesem Leben nicht mehr zurückzahlen kannst? Fick doch die heilige Trafikantenmutter! Raus hier! Beide! Und wenn euch euer Leben lieb ist, stellt ihr die Bücher ins Regal zurück!
    Mutter räumte zitternd die Klassiker ein und sammelte ihre Kleidung auf. Bogoljub hatte immer noch alle Hände voll zu tun und half ihr nicht. Er hob die Schultern und schluchzte kaum hörbar: ich wollte ja gar nicht … Wir haben nur …
    Moment mal! Vater riss sich das Hemd vom Leib und sah zum flimmernden Fernsehbildschirm. Unser C-64 lag auf dem
Boden, Kabelsalat, zwei Joysticks, Salzstangen, Zahnstocher in Käsestückchen auf Vaters Lieblingsteller, dem mit den kleinen Basketbällen. Das Momentmal war kaum verklungen, da hatte Vater auch schon Bogoljub derart eine gehemingwayt, dass es den Trafikanten kapital gegen das Regal drehte. »Tito – Die Partei, Teil 2« und »Also sprach Zarathustra« fielen heraus, was nebeneinander keine so große Tragödie ist. Mutter räumte auch sie winselnd ein und Vater zeigte dem Fernseher ein technisches Foul an: Moment mal … habt ihr Tetris gespielt?
    Die Highscoreliste war zu sehen: Bogoljub belegte die Plätze eins bis drei. Er hatte seine Resultate mit BOG unterschrieben – Gott –, und Vater griff hinter das Regal und lud die Flinte. Habt ihr in meinem Haus meine Rekorde gebrochen? Er schloss das linke Auge und zielte tief. Mutter und der Trafikant rannten panisch aus dem Haus. Vater sicherte die Flinte und lehnte sie gegen das Bücherregal. Er hob die Hände vors Gesicht, drehte und besah sie, als wunderte er sich, so etwas wie Daumen oder Nägel oder Schicksalslinien zu besitzen. Dann setzte er sich vor den Fernseher und spielte bis spät in die Nacht Tetris, im Unterhemd, ohne ein Wort zu sagen oder sich die Hände zu waschen, wie er es sonst immer tat, wenn er nach den Spielen nach Hause kam, und bevor er Mutter und mich umarmte.
    Ich aß die restlichen Rippchen, sie schmeckten nach Erde. Ich zerrupfte die Blumen: Ankica liebt mich, liebt mich nicht, liebt mich und liebt mich. Auf meine Fragen kam von Vater keine Antwort. Ich machte mich über die Salzstangen und den Käse her. Vater aß

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