Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
Vom Netzwerk:
nicht, sprach nicht, stapelte Steine und polierte zwischendurch die Flinte, bis das Eisen glänzte. Um Mitternacht machte er mit 74 360 Punkten alles klar – MIL MIL MIL, hieß es auf den ersten drei Plätzen.
    Gott, sagte Vater, ist tot.
    Bring alles her, Zoran, ein Glas brauche ich nicht. Er zog sich bis auf die Unterhose aus, und ich brachte ihm Schnaps, Brandy und Wein, sah eine Zeit lang zu – kippen, absetzen,
kippen, absetzen. Da aber ernsthaftes Saufen ohne Gesang und Gesellschaft das Langweiligste auf der Welt ist, schlief ich irgendwann auf dem Sofa ein.
    Vater trank, bis die Spatzen loszwitscherten. Dann schulterte er die Flinte, schlenderte durch die Straßen, schoss im Morgengrauen auf die Spatzen und traf keinen einzigen. Er klingelte bei Bogoljub, rief: komm raus, auf dass wir uns wie Brüder küssen! Da sich im Haus aber nichts rührte, schoss er alle Fenster kaputt und die Tür auf, warf das Bücherregal um und schlug mit der Flinte gegen den Fernseher, ohne dass das Glas brach. Also stöpselte er Bogoljubs C-64 ein, legte die Flinte quer über den Schoß und überbot BOGs Tetris-Highscore im ersten Versuch. Dann zündete er Bogoljubs Marx-Gesamtausgabe an, und während die Flammen an Höhe gewannen, kackte er auf den Teppich.
    Ich war von den ersten Schüssen aufgewacht und Vater durch die Stadt gefolgt, zuerst allein, später mit einigen älteren Višegradern, die um diese Zeit angeln gingen. Sie knabberten gesalzene Kürbiskerne und wetteten. Auf den Fernseher setzten die wenigsten. Ich setzte zehntausend Dinar auf das Tetristalent meines Vaters – Mutter hatte in der Eile ihren Geldbeutel vergessen – und gewann fünfundvierzigtausend. Und gerade als Vater seine Hose herunterließ und sich in Bogoljub Balvans Flur anstrengte, kamen die beiden Polizisten Pokor und Kodro hinzu, verschlafen, blass und unrasiert. Ihre Uniformen rochen nach gebratener Leber. Sie rauchten. Papa hatte nicht an Toilettenpapier gedacht, aber Bogoljubs Schal hatte eine brauchbare Länge. Er wickelte den gebrauchten Schal um den Fernseher und die Polizisten baten ihn, sich erst mal die Hände zu waschen. So geht das nicht. Eigentum. Mutwillig. Feuer. Geldstrafe. Mitkommen.
    Vater hörte sich an, was Pokor und Kodro zu sagen hatten, stützte sich auf die Flinte und gab ihnen in allem Recht. Dann aber erzählte er ihnen ehrlich und traurig, was das Hurenstück in seinem Haus getrieben hat, warum Vertrauensbruch im Brustkorb mehr als Rippenbruch schmerzt, wie viele Spatzen
er am Leben ließ, weil der Spatz so eine gemarterte Kreatur ist, und wie viel zu viel, wie lebenslänglich lang er sich dafür schäme, dass die schönen Augen seines einzigen Sohnes diese Schmach sehen mussten.
    Die Polizisten nahmen ihre Mützen ab, kratzten sich mit den Schirmen am Nacken, nickten und schüttelten abwechselnd ihre ungekämmten Köpfe. Zum Schluss hob Vater die Schultern und zeigte ihnen seine Handflächen: und sagt ihr mir jetzt noch mal: so geht es nicht und: Eigentum! Jede Strafe zahle ich, aber mitkommen werde ich nicht, bevor die Rechnung nicht beglichen ist. Das, was mir genommen wurde, bekomme ich niemals so zurück, wie es war. Alles, was ich ihm nehmen werde, ist ersetzbar, also nehme ich ihm viel.
    Pokor und Kodro zogen sich zurück in Bogoljubs Küche, frühstückten und berieten sich. Die Angler packten ihre Hocker aus und boten mir Apfelsaft an, aus Kanistern ohne Etikett. Als Pokor und Kodro ihre Mützen wieder aufsetzten und grußlos Kaffee trinken gingen, nickten die Alten zustimmend. Ihre Wette hatten die Polizisten verloren – sie nahmen Vater nicht mit.
    Bogoljub hatte geahnt, was ihm blühte. Er war Trafikant mit Leib und Seele, trug immer den gleichen, dunkelroten Overall und konnte alles sofort oder spätestens übermorgen besorgen. Aus der Trafik hatte er gerettet, was er tragen und fahren konnte. Den Rest räumte mein Vater aus. Er schlug die Fensterscheiben ein, warf bis zum letzten Stift alles einzeln von der Brücke in die Drina. Auch Schubladen, Wandregale, Zeitungsständer – alles, was nicht niet- und nagelfest war, landete im Fluss, und später auch das Niet- und Nagelfeste. Niemand hielt ihn auf, mehr als zwanzig Männer sahen zu, wie er als Letztes die Tür aus den Angeln riss und in die Fluten warf.
    In der Stadt hatte sich herumgesprochen, was uns im eigenen Haus zugestoßen war. Man reichte Vater Schnaps und Lauch, Amela brachte ihm warmes Brot und Salz, Amela backt das beste Brot der Welt. Mir

Weitere Kostenlose Bücher