Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
den eigenen Mitgliedern verdient. Jeder Legionär hatte einen monatlichen Clubbeitrag von 150 Euro zu zahlen, dazu kamen der Kauf von Supporter-Bekleidung und die Verpflichtung, zweimal pro Woche für den Unterricht in einer Boxschule zu zahlen. Das Fazit des ranghohen Legionärs fiel ernüchternd aus. »Es geht allein darum, Kohle zu machen. Das Gerede von der großen Bruderschaft ist ein Schwindel!«
R. bestätigte auch Erkenntnisse über die deutschlandweiten Strukturen der Angels und ihren streng hierarchischen Aufbau, der bedeutet, dass Befehle immer »von oben« kommen. Und ganz oben sei bei den deutschen Höllenengeln eben Frank Hanebuth angesiedelt. Während die Befehle nach unten weitergegeben würden, so Steffen R., nähme das im kriminellen Milieu erwirtschaftete Geld den umgekehrten Weg, bis ein Teil oben bei Hanebuth angekommen sei. Dieser liefere seinerseits Geld an die Hells Angels in den USA ab. Diese Aussage bestätigt ein weiteres Mal die bundes- und weltweite Funktionsweise der Big Red Machine. Das Franchise-System der Angels funktioniert bereits seit Jahrzehnten global und ist »Made in the USA«.
Die Aussage R.s deckt sich mit unabhängig davon gewonnenen polizeilichen Erkenntnissen und ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft als »zuverlässig« zu werten. Der Anführer der Legion 81 will von dem Mord auf der Weihnachtsfeier der Angels im Jahr 2010 erfahren haben, als er in den inneren Führungszirkel der Kieler aufgenommen wurde.
Ein tätowierter Zuhörer sprang während der Aussage R.s im Gerichtssaal auf und drohte: »Der ist tot.« Der Kronzeuge selbst saß wegen Menschenhandels, Zuhälterei, räuberischer Erpressung und schwerer Körperverletzung auf der Anklagebank und hoffte, durch seine Aussage ein geringeres Strafmaß zu erhalten. Aber er gab auch an, dass der Verlust seiner Illusionen über die Hells Angels ihn zu diesem Schritt veranlasst habe: »Ich habe für mich gemerkt, die große Bruderschaft und Mystik ist aufgeblasen – alles Bullshit!« Ein Schlüsselerlebnis sei gewesen, als ihm ein Member anvertraute, dass er einen anderen Hells Angel »umlegen« wolle, weil dieser Hanebuth »beschissen« habe. R.s Fazit lautete, dass es den Hells Angels nur ums Geld gehe.
Der bisher bedeutendste deutsche Kronzeuge gegen die Hells Angels wird fortan in lebenslanger Gefahr schweben und hofft, ihr durch ein Zeugenschutzprogramm im Ausland ausweichen zu können.
Doch die Aussage des Legionärs ging noch weiter. Die vier beschuldigten Mörder hätten das Kopfgeld von dem Vater des Mannes kassiert, den Tekin B. getötet hatte, einen Teil des Geldes in die Clubkasse der Angels abgeführt und den Rest untereinander aufgeteilt. R. sagte auch aus, dass einer der Männer, Darius »Darek« S., als Belohnung für den Mord, die Erlaubnis erhalten habe, ein eigenes Hells-Angels-Charter in Polen (Posen) zu gründen.
Am 10. April 2010 wurden die polnischen Charter Tychy und Posen in das globale rot-weiße Netzwerk aufgenommen. Die Ernennung der Charter erfolgte bereits 20 Tage vor dem Verschwinden von Tekin B. Ob dieser Umstand die Aussage des Kronzeugen entwertet oder stützt, unterliegt der juristischen Interpretation. Auffällig ist auf jeden Fall der zeitliche Zusammenhang.
Frank Hanebuth stritt in mehreren Interviews alle Beschuldigungen des Kronzeugen ab. Er behauptete auch, Steffen R. gar nicht zu kennen. Kurz nach diesen Äußerungen sendete Spiegel TV Bilder der Gründungsfeier eines polnischen Charters vom 1. April 2010. In den Räumlichkeiten feiern hochrangige Hells Angels die geglückte Expansion der Höllenengel. Unter den Feiernden finden sich, nur wenige Meter voneinander getrennt, Frank Hanebuth und Steffen R.
Eine weitere Schlüsselposition bei der aus Deutschland betriebenen Ausweitung nach Polen fällt dem Kieler Vizepräsidenten Peter P., 54, genannt »Polen-Peter«, zu. Nach Angaben des Kronzeugen wollte Peter P. mit jeder neuen Prostituierten in den Häusern der Rocker Sex haben. Dabei soll es auch zu Misshandlungen gekommen sein. Bereits vor der Razzia wurde P. wegen Vergewaltigung inhaftiert.
Ein weiterer im Fall Tekin B. Beschuldigter, Philipp K., soll nach der Tat mit der Präsidentschaft des neuen, am 22. Februar 2011 gegründeten Charters Southport im Hamburger Stadtteil Hamm-Süd belohnt worden sein. Wenn man die übliche Dauer der Prospect-Phase eines neuen Charters von einem Jahr berücksichtigt, fällt diese Beförderung mit dem Verschwinden des Opfers im April
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