Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
ist seit dem Verbot der ersten Hamburger Niederlassung Deutschlands älteste Angel-Dependance und feierte kürzlich sein 30-jähriges Bestehen.
Der Hells Angels MC Stuttgart bildete sich aus dem damals schon zehn Jahre bestehenden Hammers of Hell MC Stuttgart, dessen recht junge Mitglieder hauptsächlich Mechaniker und Werkzeugmacher waren.
Im weltweiten Netzwerk der Angels war der Ableger in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs bereits die 50. Filiale der Höllenengel. Die Verbreitung und der Ausbau ihres Einflussgebietes nahmen um diese Zeit Anfang der 80er – in Deutschland regierte noch Helmut Schmidt, in den USA begann die Ära Ronald Reagans – immer rasantere Züge an. Auf die Gründung der Hells Angels Hamburg 1973 folgte eine Vielzahl weiterer Charter, darunter eine Fülle in Amerika selbst, aber auch in England, Australien, Österreich, Kanada, den Niederlanden, Dänemark und Frankreich.
Die Stuttgarter Polizei reagierte auf die neue Präsenz und veranstaltete zum ersten Geburtstag des Charters eine Großrazzia, bei der aber keine gerichtsverwertbaren Fakten ermittelt werden konnten. Selbst die Stuttgarter Zeitung resümierte: »Mit Kanonen auf Spatzen geschossen.« Dies blieb auch weitestgehend so; schwerwiegende Straftaten oder organisiertes Verbrechen werden mit dem Stuttgarter Charter nicht in Verbindung gebracht. Der Stuttgarter Präsident Lutz S. wies in einem Fernsehinterview im Mai 2010 gewerbsmäßigen Handel mit Drogen in seinem Charter zurück. »Wer bei uns mit Drogen handelt, der fliegt raus!«
Die Stuttgarter Angels gelten auch innerhalb der Szene als das Gegenstück zu tief im Rotlichtmilieu verstrickten Chartern wie Hamburg und Hannover. Sie vermitteln nach wie vor den Eindruck eines Motorradclubs, in dem noch der Geist der Hippiebewegung der 60er-Jahre zu wehen scheint.
Dieser Verdienst ist zu einem großen Teil Lutz S., 49 Jahre alt und Präsident des Charters seit 1981, zuzuschreiben. Der gelernte Kfz-Mechaniker und Vater zweier Kinder tauschte seinen Beruf gegen das Color der Hells Angels ein oder, wie er es formulierte, »für ein Leben auf der Überholspur«. Der als freier Fotograf arbeitende Angel stellte in seinem Atelier in der Nähe des Hauptbahnhofs schon viele weithin beachtete Porträts von Drogensüchtigen, Behinderten und Obdachlosen aus.
Die Ausstellung, welche die größte öffentliche Resonanz hervorrief, handelte vom Holocaust. Auch von den Gleisen des Stuttgarter Nordbahnhofs fuhren die Deportationszüge gen Osten in die Konzentrationslager. Der Leidensweg der todgeweihten 2500 Juden aus Stuttgart und Umgebung sollte bis in die Lager von Riga führen. Davon erzählen die 30 großformatigen Fotos von S., die auch Ziel von Schulausflügen sind. Diese und weitere Arbeiten, darunter ästhetisch anspruchsvolle Schwarzweißbilder von Hells Angels, sind auf seiner persönlichen Homepage einsehbar und kürzlich als Bildband Die letzten Krieger erschienen.
Selbst der Stuttgarter Oberbürgermeister würdigte den Einsatz des örtlichen Hells-Angels-Präsidenten zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Stadt und begrüßte ihn per Handschlag. Der Stuttgarter Club spendet außerdem regelmäßig für karitative Zwecke.
Dies alles scheint doch zu viel Engagement und Herzblut zu beweisen, als dass man es nur als Feigenblattaktionen und die Stuttgarter Vereinigung als bloßes Alibi-Charter darstellen kann, wie Kritiker es tun. Dabei leugnet Lutz S. nicht einmal eine gewisse Affinität zur Gewalt in der Bikerwelt: »Wir sind kein Kirchenchor. Wenn mich einer anrempelt, warne ich ihn einmal, zweimal, aber kein drittes Mal, weil das keinen Sinn hat.«
Das Stuttgarter Charter wirkt als die deutsche Niederlassung der Angels, die am authentischsten den Easy-Rider-Mythos der 60er-Jahre weiterlebt. Die vier grundlegenden Werte der Hells Angels – Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Respekt und Freiheit – scheinen hier nach wie vor eine größere Rolle zu spielen als zügelloser Expansionsdrang und Machtstreben. Bei allen kriminellen Aktivitäten, die man der Bruderschaft gerne als Ganzes nachsagt, darf man nicht verschweigen, dass das Verhalten der Stuttgarter auch eine Seite des Hells Angels MC Germany darstellt.
3. Kapitel
Bandidos MC, der ewige Rivale
»Lieber stehend sterben als kniend leben«
Sobald der Name Hells Angels in den Medien auftaucht, dauert es in der Regel nicht lange, bis auch der Name ihres größten und erbittertsten Widersachers fällt, des Bandidos
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