Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
Schwerverletzte auf dem Schlachtfeld: Ein Bandido trägt eine üble Messerwunde am Hals davon und Heino B. liegt an einen Zaun gestützt da. Seine Verletzungen sind nicht sofort ersichtlich.
Die beiden kommen ins Krankenhaus, wo sie aber stoisch die Zähne zusammenbeißen. Die Omertà der Rocker droht tragische Züge anzunehmen. Erst bei der Versorgung einer Platzwunde am Kopf entdecken die Ärzte zufällig einen lebensbedrohlichen Messerstich im Bauch des Bremer Präsidenten. Heino B. hatte der Polizei und den Ärzten den lebensgefährlichen Messerangriff verheimlichen wollen.
Die Staatsanwaltschaft Aurich ermittelt unverzüglich wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs gegen mutmaßliche Täter aus den Gremium-Chaptern Jever, Cloppenburg und Vechta sowie gegen Hells Angels des Bremer Charters West Side. 2004 werden die erfolglosen Ermittlungen eingestellt und die Akten geschlossen. Alle Beteiligten, selbst die lebensgefährlich Verletzten, verweigern erneut jegliche Zusammenarbeit. Die Täter bleiben wie so oft straffrei, es kommt nicht einmal zu einem Gerichtsverfahren.
Das Bandidos-Chapter Leer verschwand nach dieser blutigen Auseinandersetzung so schnell, wie es gegründet worden war, und löste sich auf. Die Hells Angels wurden für das gewaltsame Vorgehen gegen die Konkurrenz somit doppelt belohnt. Sie mussten keinerlei juristische Konsequenzen fürchten und ein verhasster Rivale löste ein Chapter im rot-weißen Machtbereich auf. Die Gewalttaten bewiesen Wirksamkeit und so verwundert es nicht, dass ihnen viele weitere brutale Attacken und Auseinandersetzungen folgten.
Heino B. empfand nichts als Hass gegen den Club, dem er vor ein paar Jahren noch unbedingt hatte angehören wollen. Kurz darauf explodierte eine Handgranate im Bremer »Angels Place«; es wurde zwar niemand verletzt, aber das Clubhaus benötigte eine Generalüberholung. Das Werk des Bandido-Präsidenten?
Die Höllenengel hielten sich jedenfalls nicht allzu lange mit Spekulationen auf. Nach der Bandidos-Gründung auf ihrem Territorium, dem provozierenden Verhalten von B. und einem Granatenanschlag war das Maß für sie voll.
Wie die Historie der Hells Angels lehrt, wird die nun folgende Reaktion der Bremer Hells Angels keine isolierte Handlung eines einzigen Charters gewesen sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die wichtigsten Angels-Präsidenten Deutschlands in die Entscheidung über eine angemessene Vergeltungshandlung involviert waren. Vielleicht wurde das Vorgehen sogar international abgestimmt. Eines muss nämlich allen Beteiligten klar gewesen sein: Danach würde es kein Zurück mehr geben, denn dann würde in Deutschland offiziell Krieg herrschen.
Nach generalstabsmäßigen Planungen – der Sergeant at Arms des Charters West Side ließ den Bremer Bandido Heino B. schon seit einem Jahr von Hangarounds und Prospects observieren – trafen sich unter konspirativen Umständen 15 Mitglieder der Hells Angels Bremen in einem Rohbau in Delmenhorst, um es den »Tacos«, so der abschätzige Name der Angels für die Bandidos, zu zeigen.
Die Bremer Hells Angels schienen durch die Straffreiheit der vergangenen Jahre der Fehleinschätzung aufgesessen zu sein, sie könnten tun und lassen, was sie wollten. Gegner und Opfer schwiegen und Polizei und Landeskriminalämtern war es nicht gelungen, ein probates Mittel gegen die neue Kriminalitätsform in Deutschland zu finden. Den Höllenengeln konnte einfach nichts etwas anhaben, so schien es. Sie sollten sich irren.
Unter dem 15-köpfigen Kommando, das sich in Delmenhorst zusammenfand, war auch der Hangaround Thomas P. Er war nach einer Mitgliedschaft im Gremium MC Jever und der Ernennung zum Security Chief Nord, einer Einsatzgruppe für alle Eventualitäten, aus eigenem Antrieb zum Umfeld der Bremer Hells Angels gestoßen. Dort begehrte der 1,85 Meter große und kräftige Mann die Vollmitgliedschaft im rot-weißen Netzwerk.
Thomas P. stammte aus zerrütteten Familienverhältnissen. Die Mutter war Alkoholikerin und Prostituierte, der Vater verstarb bereits früh. P. war als Zeitsoldat bei der Bundeswehr gewesen, bevor er aufgrund von Gewalttaten in der Kaserne und nach einer Verurteilung wegen Zuhälterei aus dem Dienst entlassen wurde. Während der folgenden zwei Jahre arbeitete er als Türsteher und handelte sich dabei nicht weniger als 70 Anzeigen wegen Körperverletzung ein. Ein Psychiater attestierte ihm obendrein eine »aggressive
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