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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Cahill
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antikatholischen Strafgesetze erlassen; neben vielen anderen Ungerechtigkeiten besagten sie auch, daß einem katholischen Iren der Besitz eines Pferdes von höherem Wert als fünf Pfund verboten sei. Der Getötete war Art O’Leary, ein Offizier in der Armee Maria Theresias von Österreich und Abkömmling einer der letzten katholischen Adelsfamilien, die in Irland überlebten. (Als Katholik konnte er im irischen Militär keinen Dienst leisten.) Die Dichterin, seine Frau, war Dark Eileen O’Connell, eine Tante von Daniel O’Connell, der siebenundfünfzig Jahre später die katholische Gleichstellung im englischen Parlament durchsetzen sollte und eine Art irisch-katholischer Martin Luther King wurde. Ihre Klage ist so ziemlich das letzte große Gedicht, das in irischer Sprache geschrieben wurde – gerade als auch die gälische Ordnung und der
    alte Adel, der seine Wurzeln bis zur Zeit von Medb und Ailil zurückverfolgen konnte, in den Wellen der englischen Unterdrückung ver-
    sanken.
    Ähneln sich die beiden Klagen nicht in Bild und Gefühl? Derdriu
    gehört einer schlichteren Zeit an: Ihre Begeisterung für den Körper ihres Liebhabers, der im Schutz des Waldes Wild für sie brät, ist offen und rein. Die von Dark Eileen ist im Vergleich dazu verfeinert: Ihr Ehemann bereitet (mit der Zartheit eines englischen Kinderliedes) einen ganzen Haushalt für sie vor, und das sexuelle Empfinden ist weniger direkt ausgedrückt. Beide haben ein wachsames Auge auf
    andere Frauen! Die Macht der Verbindung von der prähistorischen
    Derdriu zu Eileen wird besonders deshalb deutlich, weil man in der gesamten englischen weiblichen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts umsonst nach etwas so Offenem und Leidenschaftlichem wie
    der »Klage um Art 0’Leary« sucht. Eileen zerstört sich nicht so direkt wie ihr antikes Pendant, doch sie ist aus dem gleichen harten, störrischen Holz geschnitzt:

    Jesus Christus weiß:
    Weder Haube auf dem Kopf
    Noch Gepäck auf dem Rücken,
    Noch Schuhe an den Füßen,
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    Noch Geräte in meinem Haus,
    Noch Zaumzeug für die Stute
    Werde ich für das Gesetz geben;
    Und ich werde übers Meer fahren,
    Um den König zu bitten,
    Und wenn der König taub ist,*
    Werde ich die Dinge allein klären
    Mit dem schwarzblütigen Verbrecher,
    Der mir den Mann getötet hat.

    Art O’Leary liegt im zerstörten Mittelschiff der Abtei von Kilcrea in der Grafschaft Cork begraben. Diese Worte, die in modernem Englisch in seinen Grabstein gemeißelt wurden, versetzen uns ins prähistorische Irland zurück:

    LO ARTHUR LEARY,
    GROSSZÜGIG, SCHÖN UND TAPFER,
    IN SEINER BLÜTE ERMORDET,
    LIEGT HIER IN SEINEM BESCHEIDENEN GRAB.

    Die drei Adjektive »großzügig, schön und tapfer«, mit denen der
    Ermordete beschrieben wird, fassen den Moralkodex der Eisenzeit
    zusammen; einen Kodex, der in der gesamten frühen Literatur zu
    finden ist (ob nun im Gilgamesch, in der Ilias oder im Tain), der auf wunderbare Weise in Irland überlebte, nachdem ihn hochentwickelte Zivilisationen schon längst vergessen hatten – und der in mancher Hinsicht noch heute gilt.
    Wir erinnern uns an Medbs protzige Selbstdarstellung: »Ich schlug sie alle in Anmut und Gaben, im Streit und in der Schlacht.« – »Anmut« bedeutet, sie ist schön (oder hübsch), »Gaben«, sie ist großzügig«,
    »Im Streit und in der Schlacht«, sie ist tapfer. Denken wir an den hohen Maßstab, den sie ihrem Mann gesetzt hat: »das Fehlen von Geiz und Eifersucht und Angst«; »Geiz« ist das Gegenteil von Großzügig-

    * Was er auf jeden Fall ist, denn es ist George III.

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    keit; »Angst« ist das Gegenteil von Tapferkeit. »Eifersucht« ist zwar nicht das logische Gegenteil von Schönheit, ist jedoch in einem aussichtslosen Konflikt damit verknüpft: Die Schönheit einer Frau provo-ziert den unsicheren Ehemann unweigerlich zur Eifersucht – nicht auf seine Frau, sondern auf seine möglichen Rivalen.
    Es gibt eine weitere, nicht genannte Tugend, die in dieser Trinität verborgen liegt: Loyalität oder Treue. Dark Eileen hätte wohl kaum
    »großzügig, treu und tapfer« in den Stein meißeln lassen. O’Leary, ein hübscher Mann Mitte Zwanzig, hatte gern hin und wieder, wie Eileen selbst schrieb, »in hellen Hallen mit weißbrüstigen Frauen« getrunken. Auch Medb hätte die Treue kaum glaubhaft als eine ihrer Tu-
    genden preisen können (auch wenn die Kategorie unterschwellig im
    Eifersuchtsmotiv zu erkennen ist). In den heroischen Epochen ver-
    schiedener

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