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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Cahill
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verzweifelt es sein mochte, irgendwann beendet sein und sich herausstellen würde, daß es seinen Sinn gehabt hatte. Er beharrte darauf, daß jeder am Ende die Worte hören würde: »Dein Hunger ist belohnt worden: Du gehst nun
    nach Hause. Siehe, dein Schiff ist bereit. « Er konnte glaubwürdig von dem überreichen Gott sprechen, der auf ein demütiges Gebet hin sein verloren umherirrendes Volk mit himmlischem Manna speist – und
    eine Gruppe verlorener, verhungernder Matrosen mit einer Herde
    äußerst irdischer Schweine. Für Patrick wie für den mystischen Dichter Gerard Manley Hopkins aus dem 19. Jahrhundert, der ebenfalls
    stark von der keltischen Empfindsamkeit beeinflußt war, galt:

    113

    Die Welt ist geprägt von der Herrlichkeit Gottes.
    Sie blitzt auf, wie der Glanz eines geschwungenen
    Floretts ...

    wie die kleinen Vögel und wunderschön gearbeiteten Tiere in keltischen Schmiedearbeiten.
    Der Schlüssel in Patricks Zuversicht – einer felsenfesten Überzeugung, auf die eine ganze Zivilisation bauen kann, einem ungetrübten Vertrauen, wie es seit dem Goldenen Zeitalter Griechenlands und
    Roms keins gegeben hatte – liegt in seinem Vertrauen auf den »Schöpfer der Schöpfung«, mit dem der »Brustharnisch« beginnt und endet.
    Unser himmlischer Vater, der alle Dinge erschaffen hat, auch die
    Dinge, die sich zum Schlechten gewandelt haben, wird uns, seine
    Kinder, von allem Bösen erlösen. Doch unser Vater ist nicht nur im fernen Himmel, er lebt unter uns. Denn er erschuf alles durch sein Wort, welches mit ihm war am Anfang und welches Fleisch wurde in
    Jesus und in all seinen Kreaturen leuchtet:

    Ich sehe sein Blut auf der Rose
    Und in den Sternen den Glanz seiner Augen,
    Sein Körper strahlt inmitten ewigen Schnees,
    Seine Tränen fallen vom Himmel.

    Ich sehe sein Gesicht in jeder Blume;
    Der Donner und der Gesang der Vögel
    Sind seine Stimme – und geschliffen durch seine Macht
    Sind die Felsen sein geschriebenes Wort.

    Alle Wege sind durch seine Füße geformt,
    Sein starker Herzschlag treibt das pulsierende Meer, Seine Dornen-krone ist aus jedem Dorn gewunden,
    Sein Kreuz ist jeder Baum.

    114
    Diese magische Welt ist voller Abenteuer und Überraschungen, aber nicht mehr voller Bedrohungen. Im Gegenteil: Christus ist vor uns alle Wege gegangen, und an jeder Kreuzung und durch jeden Baum
    spricht Gottes Wort zu uns. Wir müssen nur still sein und zuhören, wie Patrick es lernte in der Stille seines »Noviziats« als Hirte auf den Hängen von Sliabh Mis.
    Diese Auffassung von der Welt als Heiligtum, als das Buch Gottes –
    als ein heilendes Mysterium voll göttlicher Botschaften – hätte sich aus der gräko-romanischen Zivilisation nie entwickeln können – aus dem Pessimismus der Alten mit ihrem platonischen Mißtrauen gegenüber dem unheiligen Körper und der bedeutungslosen Welt.
    Selbst Augustinus, dessen Synthese einer heidnischen und christlichen Haltung die bemerkenswerteste philosophische Schöpfung der
    ersten fünf Jahrhunderte nach Christus war, reicht an Patricks Origi-nalität nicht heran. Sicher, Augustinus’ Sündentheorie sollte das gesamte Mittelalter durchziehen und wirft auch heute noch ihre
    Schatten. Aber aus dem jubelnden Geist des »Brustharnisch« ent-
    springen die charakteristische Kunst und Lyrik der westlichen Welt –
    die immense Symbolkraft der mittelalterlichen Liturgie, die lächelnden Engel der Gotik, die lächerlichen Dämonen, die Süße von Dich-
    tern wie Franz von Assisi (dessen »Hohelied der Sonne« man fast für ein keltisches Gedicht halten könnte), Dante (der von der »Liebe, die die Sonne und die anderen Sterne bewegt«, sprach) oder Chaucer
    (dessen Zeile »Kreator jeder Kreatur« beinahe aus dem »Brusthar-
    nisch« stammen könnte). Und dieser Geist starb nicht mit dem Mittelalter. Er findet sich bis zum heutigen Tag in der britischen und irischen Lyrik – von den sanften Visionen eines George Herbert oder
    eines Thomas Traherne bis zur erregten Ekstase von Gerard Manley
    Hopkins, vom Mystizis- mus eines Joseph Plunkett – der sein »I see his blood upon a rose« nicht im fünften Jahrhundert, sondern im
    zwanzigsten schrieb* – bis zum christlichen Druidentum von Seamus

    * *Plunkett, ein visionärer Dichter aus dem irischen Adel und Nachkömmling des elisabethanischen Märtyrers und Erzbischofs von Armagh, Oliver Plunkett, wurde 1916
    wegen seiner Teilnahme am Osteraufstand von den Briten hingerichtet. Eine gänzlich andere

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