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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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anschalten, wenn hier gearbeitet wird. Deshalb ist auch der Schalter hier oben über dem Türbalken. Aber Herr Hofmann ist in einigen Dingen eigen. Ich bin die Einzige, die sein Vertrauen genießt und die Laborsachen erledigen darf. Nur die ganz wichtigen macht er selbst. So. Nun zeige ich dir, wie aus einem Negativ ein Positiv wird. Dann siehst du, wie das Bild auf dem Papier entsteht.«
    Unter anderen Umständen hätte ich die Erklärungen der Laborassistentin hochgradig spannend gefunden, doch in dieser Situation musste ich mich zwingen, aufmerksam zuzuhören. Mein Sinn stand nach etwas anderem, doch ich brauchte Geduld. Und die Hilfe des Zufalls. Im trüben Schein des Rotlichts nahm Irina ein fotografisches Papier aus einer Pappschachtel und schob es in einen Rahmen unter das Vergrößerungsgerät. Darüber legte sie das Filmblatt, in das vier Negative in der Größe eines Ausweisfotos einbelichtet waren, und deckte das Ganze mit einer Glasscheibe ab. »Wenn ein Kunde großformatige Fotoabzüge wünscht, spanne ich die Negative hier oben in die Bildbühne des Vergrößerers ein. Bei kleinen Passbildern ist das nicht nötig. Die werden direkt vom Negativ abkopiert. Ich hoffe, du verstehst, was ich meine. Ich zeig' s dir.«
    Irina schaltete den Vergrößerer an, zählte »einundzwanzig, zweiundzwanzig« und knipste den Schalter wieder aus. Dann nahm sie das Fotopapier und schob es in die Schale mit der Entwicklerflüssigkeit. »Jetzt beginnt die Zauberei«, flüsterte sie, während sie das Blatt mit einer Zange hin- und herbewegte. Ich sah, wie sich der Rand des Blattes allmählich schwarz verfärbte, dann erschienen das Anzugjackett und die dunkle Krawatte, bis sich die Kontur meines Gesichts abzeichnete. Die Laborantin wartete noch eine Weile, nahm das Papier heraus und warf es in das Fixierbad. Sie reichte mir eine Zange und forderte mich auf: »Gut bewegen. Zähl langsam bis sechzig. Danach kannst du das normale Licht einschalten, das Papier abtropfen lassen und es unter dem Wasserhahn ein paar Minuten abspülen. Wenn du das hinkriegst, ernenne ich dich ehrenhalber zum ersten Assistenten der Assistentin. Und überleg dir schon mal, welches der Bilder du in deinem Ausweis sehen möchtest.«
    Dann trat der ersehnte Zufall ein. Wenngleich nur gedämpft, erklangen von oben aus dem Laden die Türglöckchen.
    »Mist. Ich hätte zuschließen sollen. Ich muss hoch, aber du weißt ja, was zu tun ist.« Irina stieß die Eisentür auf und verschwand.
    »Achtundfünfzig, neunundfünfzig, sechzig.« Ich hatte schnell, aber nicht zu schnell gezählt. Ich legte das Papier in das Wässerungsbecken und drehte den Hahn auf. Dann eilte ich zu dem abgedunkelten Fenster und schob das schwarze Tuch zur Seite. Dahinter trennte ein Gitter da s Labor von einem L ichtschacht, der aller Voraussicht nach in einen Hinterhof führte. Das Fenster war verschlossen. Ich dachte an Kora Konstantin. Die Alte hatte im Nachhinein doch ihr Gutes. Nun setzte ich in die Tat um, was Kara in ihrer verdorbenen Fantasie der Lehrerin unterstellt hatte. Sie sollte heimlich das Fenster zur Bücherei geöffnet haben, durch das sie sich nächtens Einlass in die Pfarrei verschaffte. Ich drehte den Hebel um neunzig Grad. Das Scharnier ließ sich mühelos öffnen und schließen. Dann lehnte ich das Fenster an, hängte das Tuch wieder davor und wässerte meine Porträts.
    Irina Lupescu kam zurück. »Dein Großvater ist wieder da. Es war ihm in der Stadt zu langweilig. Er wartet oben. Na, hast du dich schon für ein Bild für deinen Ausweis entschieden?« Ich verneinte. »Warum hast du vier Bilder gemacht? Eines hätte doch gereicht.«
    Irina nahm mir das Fotopapier aus der Hand und schaute die kleinen Porträts an. »Deshalb habe ich vier Aufnahmen gemacht! Hier! Schau her! Dieses Bild ist verwackelt. Und hier hast du genau in dem Moment die Augen geschlossen, als es blitzte. Die beiden anderen Bilder sind in Ordnung. Ich würde dieses nehmen. Da schaust du freundlich und zielstrebig und nicht so fürchterlich streng und steif.«
    Ich befand, dass auf Irinas Geschmacksurteil Verlass war. »Ich schneide dein Bild noch aus und mache schnell die Fotos von deinem Großvater fertig.«
    »Was machst du mit den Bildern, die nichts geworden sind?«
    »Die werfe ich weg. Aber du kannst sie gerne mitnehmen. Wir können damit doch nichts anfangen.« »Und die Negative?«
    »Oh, die kann ich dir nicht geben. Das ist eine strenge Anweisung von Herrn Hofmann. Sie sind das

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