Wie die Madonna auf den Mond kam
war bereits ein Dutzend Paare hier, um Termine abzusprechen.«
»Ja, ja«, kommentierte Großvater. »Im Lenz steigen die Säfte.«
Irina lächelte schelmisch. »Ich glaube, der Frühling ist unschuldig. Es liegt eher an den langen Wintern. Da müssen die Leute schließlich in den kalten Nächten enger zusammenrücken, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ja, und im Mai, dann drängt es die Bräute zum Altar. Muss doch nicht jeder gleich sehen, dass was Kleines unterwegs ist.«
»Ihre Vorgängerin, sagten Sie, hat all die Hochzeiten fotografiert. Gute Arbeit. Das sieht im Schaufenster sogar ein Blinder. Warum ist sie nicht mehr hier?« Ich bemühte mich, meine Neugier nicht allzu deutlich zu zeigen.
»Ich weiß es nicht. Sie ist eines Morgens im vergangenen November einfach nicht mehr zur Arbeit erschienen. Ich habe sie leider nie kennengelernt.«
»Dann sind Sie selbst noch nicht sehr lange hier?«
»Erst seit Januar. Vorher habe ich in einem Studio in der Hauptstadt meine Ausbildung gemacht.«
Ich war mir nicht sicher, ob Irina Lupescu meine Fragen als zu aufdringlich empfand, doch ich ließ es darauf ankommen. »Aber weshalb sind Sie nicht in der Hauptstadt geblieben, wo doch alles viel kultivierter ist als hier in Kronauburg?«
Irina lachte unbefangen. »Ich will mal so sagen: Jemand, der mir am Herzen liegt, hat mich abgeworben und mich Herrn Hofmann vorgestellt. Und so ganz unkultiviert ist euer Kronauburg weiß Gott nicht. Aber nun müssen wir mal ... Wie ich sehe, sind Sie auf ein amtliches Lichtbild nicht eigens vorbereitet. Ich meine, wegen ihrer formlosen Kleidung.«
»Wenn wir gewusst hätten, dass wir neue Pässe brauchen, hätte ich meinen Anzug mitgebracht«, entschuldigte sich Großvater.
»Für solche Fälle sind wir gerüstet. Schauen Sie sich nachher ruhig im Schaufenster die vielen Passbilder an. Weit über tausend sind es. Ich wette mit Ihnen, jeder vierte, wahrscheinlich jeder dritte Mann trägt dasselbe Jackett, dasselbe Hemd und dieselbe Streifenkrawatte.« Die Assistentin öffnete einen Schrank und holte ein paar Kleidungsstücke hervor. »Suchen Sie sich etwas aus, was einigermaßen passt. Haarbürste und Kamm finden sie nebenan vor dem Spiegel. Ich muss für fünf Minuten in den Keller in das Labor. Wenn Sie umgezogen sind, bin ich wieder für Sie da.«
»Hättest du dem Hofmann so eine nette Mitarbeiterin zugetraut?«, fragte Großvater.
»Die hat der Mistkerl nicht verdient.«
Ich streifte meinen Pullover ab, zog ein weißes Oberhemd und ein tiefblaues Sakko an, das mir wie auf den Leib geschneidert passte. Statt der gestreiften wählte ich eine dunkle Krawatte, hatte aber keine Idee, wie das verflixte Ding um den Hals gebunden wurde. Auch Großvater, der in seiner Jugend einige Male einen Binder getragen hatte, kam mit dem ungewohnten Utensil nicht zurecht.
Irina Lupescus Schuhabsätze klackerten die Kellertreppe hinauf. Mit einem »Ich darf Ihnen wohl behilflich sein?« hatte sie mir in Windeseile den Schlips umgebunden.
»Sieht doch gleich ganz anders aus. Kleider machen eben Leute«, spaßte sie. »Darf ich fragen, wo Sie herkommen?« »Aus Baia Luna.«
»Das gibt es doch nicht! Dann müssen Sie den Chef doch höchstpersönlich kennen? Er hat doch jahrelang mit seiner Familie in den Bergen gewohnt. Schön muss es dort sein, vor allem im Sommer. Obwohl, wenn ich ehrlich bin, Herr Hofmann ist kein Mensch für das Dorfleben. Ich frag mich, was ihn dahin verschlagen hat. Dort heulen doch nachts die Wölfe. Stimmt's?«
»Tagsüber heulen sie noch mehr.«
Mein Spott entging Irina. »Sag bloß. Nein, das wäre nichts für mich. Schade, dass Sie Herrn Hofmann um ein paar Minuten verpasst haben.«
»Wirklich schade. So ein Pech.« Ich registrierte, Heinrich Hofmanns Assistentin fehlte der Sinn für Ironie. Sie war gutgläubig bis in die letzte Haarspitze. Irina platzierte mich mit sanfter Hand auf dem Schemel. Brust raus, Kinn leicht nach vorn. Dann justierte sie die Kamera und griff zu dem Drahtauslöser.
Als die Blitzzünder knallten, tat Irina mir schmerzlich leid.
Denn in diesem Moment wusste ich, ich würde sie hereinlegen. Ich hatte einen gewagten Plan, der meiner Reise nach Kronauburg einen anderen Sinn gab, als bloß Zucker und Öl nach Baia Luna zu karren. Den ganzen Winter über hatte die Ohnmacht der Untätigkeit mich in die Schwermut gestürzt. Doch heute konnte ich bei meinem Feldzug gegen die Machenschaften von Heinrich Hofmann und Doktor Stephanescu einen
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