Wie die Madonna auf den Mond kam
sowjetische Raketenkonstrukteur Sergei Pawlowitsch Koroljow erliegt überraschend einem Krebsleiden. Er stirbt nach einer erfolglosen Operation, zwei Tage nach seinem neunundfünfzigsten Geburtstag in einem Moskauer Krankenhaus. Sein Tod wird das sowjetische Mondfahrtprogramm voraussichtlich um Jahre zurückwerfen.«
»Washington, 1. Januar 1968 Der amerikanische Vizepräsident Richard Nixon kündet für den 21. Februar den Start eines Apollo-Raumschiffs für den ersten bemannten Weltallflug der USA an.«
»Moskau, 2. Januar 1 968 Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ist zuversichtlich, zum fünfzigsten Jahrestag der Oktoberrevolution Kosmonauten zum Mond zu entsenden.«
»Kap Kennedy, 27. Januar 1968 Schwerer Rückschlag für das Apollo- Mondflugprojekt der Vereinigten Staaten von Amerika. Bei einem Test während eines simulierten Countdowns bricht in der Raumkapsel ein Feuer aus. Die drei Astronauten Gus Grissom, Ed White und Roger Chaffee ersticken in den Flammen. Der Sohn des Kommandanten Grissom gibt nach dem Unglück bekannt, sein Vater habe Morddrohungen erhalten und ständig damit gerechnet, das Opfer eines Komplotts zu werden. Ein Sabotageakt wird nicht ausgeschlossen.«
»Moskau, 27. März 1968: Juri Gagarin, der vor sieben Jahren einen Meilenstein der Weltgeschichte setzte und als erster Mensch in das All flog, ist tot. Er starb bei dem Absturz eines Testflugzeugs im Alter von nur vierunddreißig Jahren. Ein Sabotageakt wird für möglich gehalten.«
»6. Juni 1968: Der dreiundvierzigjährige Robert Francis Kennedy wurde ermordet. Kennedy, der in den Fußstapfen seines Bruders John Fitzgerald als aussichtsreicher Kandidat für die amerikanische Präsidentschaft angetreten war, erliegt nach einem Attentat seinen schweren Schussverletzungen.«
»Das Böse ist stärker als wir«, sagte Dimitru matt. »Es ist vorbei. Unsere Mission ist endgültig gescheitert. Märilinn, John EH, sein Bruder Robert, Koroljow, Gagarin, drei amerikanische Astronauten. Ganz zu schweigen von den vielen ruhmlosen Kosmonauten, die schon beim Testflug mit ihren Raketen explodiert sind, sie alle mussten sterben. Verbrannt, vergiftet, erschossen, abgestürzt. Manche schwirren vielleicht sogar in der kalten Öde des Alls herum, unfähig zu retournieren. Und niemand hört ihr Rufen. Und vom Chruschtschow hört man auch nichts mehr. Müssen die sich denn alle gegenseitig exekutieren? Sag, Ilja, ist das die Sache wert?«
Großvater sagte nichts. Kathalina hätte in der Niederlage der Freunde einen Sieg der Vernunft sehen können, stattdessen stimmte der Zigan sie traurig, als sie seine Not und seine Verzweiflung sah. Auch mich plagte das schlechte Gewissen, hatten die beiden Freunde doch keine Ahnung, wie sehr ich sie für meine persönlichen Zwecke manipuliert hatte. Das Teleskop, Dimitrus weiß gepunktete Madonnenfotos, das Theater vor Lupu Raducanu, aIl diese Inszenierungen, die ja nun schon Jahre zurücklagen, ließen mich in der Schuld der beiden stehen. Ich hatte etwas wiedergutzumachen. Wie meine Mutter wünschte auch ich sehnlichst, Dimitru und Ilja wären wieder die Alten.
Unser Wunsch erfüllte sich an einem warmen Sommertag im Jahre 1969, als ich Großvater und Dimitru bei einem ihrer Spaziergänge keuchend hinterhereilte, um spannende Nachrichten zu überbringen. Ich entdeckte die beiden an dem Wegkreuz, wo einst Laszlo Gabor erschlagen wurde, als er versuchte, Großvaters junge Familie vor dem Sturz in die Tirnava zu retten. Die beiden Freunde saßen am Ufer, kauten Grashalme und sahen schweigend in den Fluss.
»Habt ihr denn nicht mitbekommen, wovon die ganze Welt spricht?«, fragte ich.
»Was meinst du?«
»Apollo 11 startet gleich. In wenigen Stunden fliegt eine Rakete mit Amerikanern zum Mond. Unser Generalsekretär hat angekündigt, vom Start bis zur Mondlandung ständig auf Leitung zu sein. Sogar im Fernsehen. Rund um die Uhr. Wenn ihr euch beeilt, bekommt ihr noch mit, wie sie vor dem Abheben der Rakete rückwärts zählen.«
»Das, mein lieber Pavel, nennt man Kauntdaun!«
Ilja schaute zu Dimitru und schüttelte den Kopf. »Ein Flug zum Mond! Kann nicht sein. Morde, Unfälle, Attentate. Alle wichtigen Leute vom Mondprojekt sind tot. Auf beiden Seiten, beim Russen wie beim Ami. Die führen Krieg.«
»Ach, du großer Gott!« Dimitru stöhnte auf. »Ilja, du irrst dich. Ja, sie führen einen Krieg, aber sie haben sich nicht alle gegenseitig umgebracht. Einer ist übrig. Ein Raketenbauer lebt noch!
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